Ihr bester Wahlhelfer

Die Demokraten küren Kamala Harris, von der sie eigentlich nicht viel hielten, zu ihrer Kandidatin. Die Frage ist, ob wie wirklich hinter ihr stehen – und ob Amerika eine schwarze Frau ins Weiße Haus schicken will.

Heute beginnt der Parteitag in Chicago, auf dem Kamala Harris offiziell zu der Präsidentschaftskandidatin gewählt wird, die sie seit ihrem phänomenalen Einstieg schon ist. Zugleich wird auf dieser Krönungsmesse auch die Betriebstemperatur gemessen. Stehen sie wirklich und dauerhaft hinter ihr, die Linken und die Aktivisten, die Progressiven, die Liberalen und die eher Konservativen – das gesamte bunte, disparate Geflecht, aus der die Partei besteht?

Zugleich endet damit die schönste Zeit für Kamala Harris. Der Schwung, den sie entfaltete, als Joe Biden beiseite trat, die Souveränität, mit der sie auf Donald Trump reagierte, beruhte ja darauf, dass niemand ihr so etwas zugetraut hätte. Weder war sie besonders beliebt noch fiel sie als Vizepräsidentin staunenswert auf. Aber als es soweit war, legte sie los, als hätte sie nur darauf gewartet, endlich zum Zug zu kommen. Deshalb riss sie die verblüfften Demokraten mit.

Doch jetzt ist sie die bekannte Größe. Von nun an muss sie zeigen, dass sie wirklich so gut ist, wie sie zu sein scheint. Dass sie weiterhin die richtigen Worte für den Gegenspieler findet, der alles erträgt, nur nicht den Scheinwerfer, der nicht ihn ins Blickfeld rückt. Die Gelassenheit, mit der sie Donald Trumps Beleidigungen an sich abtropfen lässt („Ach ja, das ist seine übliche Masche“) ist ihre größte Stärke.

Mehr als zwei Monate bleiben bis zum Wahltag am 5. November. Von Demokraten wird ein ausgefeiltes Programm erwartet. Die Ausübung von Macht allein genügt der Linken weder dort noch hier. Die Welt sollen sie besser machen, was denn sonst. Wie also hält es Kamala Harris mit den Steuern – welche sollen rauf, welche runter. Wie gedenkt sie die Wirtschaft zu stimulieren? Was fällt ihr zum ökonomischen Wettbewerb mit China ein? Wird sie die Ukraine weiterhin mit modernster Waffentechnik unterstützen? 

Dabei vollzieht Kamala Harris einen Akt auf dem Drahtseil, denn natürlich ist sie gebunden an Joe Biden, der im übrigen ein guter Präsident ist. In den USA liegt die Inflation bei 3 Prozent, nicht berauschend, aber auch nicht schlecht. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig bei 4,3 Prozent. Der berühmte „Inflation Reduction Act“ zielt seit 2022 darauf ab, moderne Energieversorgung mit Förderung der nationalen Industrie zu verbinden. Die Europäer sind neidisch darauf. In den USA sollen 800 000 neue Jobs entstanden sein.

Mehr noch als die Ukraine spaltet der Gaza-Krieg die Demokraten in Israel-Freunde und mehr noch Palästinenser-Freunde. Aus diesem Grund übt das Weiße Haus enormen Druck auf Benjamin Netanyahu aus, endlich das Abkommen in drei Phasen anzunehmen, dass er lange schon unterbreitet hat. Unfrieden mag in der Region herrschen, aber kein Krieg mehr, wenn Amerika zwischen Kamala Harris und Donald Trump wählt. Das wäre ein wichtiger Vorteil für sie.

Jetzt schon ist abzusehen, worum es am 5. November zuerst und zuletzt gehen wird: Ist Amerika bereit und willens, eine Frau zur Präsidentin zu wählen – eine schwarze Frau? Diese entscheidende Frage wird derzeit nur in Andeutungen erhoben. Sie überlagert die routinierten demoskopischen Untersuchungen, wer wo in den umkämpften Bundesstaaten des Südens (Georgia, North Carolina) oder des Rostgürtels (Pennsylvania, Michigan, Ohio) vorne liegt.

Ja, Kamala Harris hat gewaltig aufgeholt und führt leicht in den Umfragen. Aber das sind Momentaufnahmen und angesichts der möglichen Fehlerquote dienen sie nur zu schönen Schlagzeilen ohne jede Verbindlichkeit.

Vor Kamala Harris versuchte es Hillary Clinton, als erste Frau ins Weiße Haus zu gelangen. Ihre Chancen standen gut, sie bekam auch die Mehrheit der Stimmen, aber eben nicht die Mehrheit im Wahlmänner-Kollegium, auf die es ankommt. Donald Trump war damals verblüfft über seinen Sieg, an den er selber nicht geglaubt hatte. Clinton hatte durch ihr permanentes Taktieren und ihren laxen Umgang mit dem Recht (professionelle E-mails auf dem privaten Account) vergessen lassen, wofür sie stand.

Von ihr kann Kamala Harris nur lernen, dass sie es anders halten muss. Fehler macht jeder, aber kapitale gilt es unbedingt zu vermeiden. Wahlkämpfe in Amerika sind höllische Spektakel. Sie verlangen Menschen vieles ab. Wer die Nerven nicht verliert, wer die Selbstbeherrschung behält, besitzt die nötige Härte für die Präsidentschaft. Wer ins Jammern abgleitet, weil der Gegenspieler hundsgemeine Werbung schaltet oder die Dreckschleudern anwirft, gerät in die Defensive und womöglich auf die Verliererstraße.

Kamala Harris segelt momentan auf einer schönen Welle. Ihre Strahlkraft ist enorm. Sie verkörpert die typisch amerikanische Zuversicht, die uns gelegentlich naiv vorkommt und zugleich unsere Bewunderung erregt. Ihr Wahlkampf gleicht bisher einem Triumphzug, der Donald Trump in den Schatten stellt. 

Interessanterweise ähnelt diese Kampagne ausgerechnet Ronald Reagans „It’s Morning Again  in America“ aus dem Jahr 1984. Reagan war Republikaner wie Trump, aber seine Partei ist mit der heutigen nicht zu vergleichen. Trump hat sie nach seinen Vorstellungen als Armee der aggressiven weißen Unterschicht geformt. Dazu stoßen Billionäre wie Elon Musk oder Peter Diehl und der Großteil der Wall Street, die auf Steuerreduktion, Negation der Ökologie und Bevorteilung von Hi-Tech bauen.

So fügt es sich, dass eine Demokratin den typisch amerikanischen Zukunfts-Optimismus ausstrahlt, und gegen einen Mann steht, der die Gegenwart für verderbt und verloren ansieht und sich selber als Jesus-artigen Erlöser aus dem irdischen Jammertal imaginiert.

Wenn Donald Trump gewinnen sollte, dann deshalb, weil sich Amerika davor scheut, eine Frau zur Präsidentin zu wählen. Wenn Kamala Harris gewinnen sollte, dann deshalb, weil Donald Trump so ist, wie er ist, und damit ihr bester Wahlhelfer.

In diesen Tagen wird Trump nicht müde, seine Wut über das Übermaß an Aufmerksamkeit für Kamala Harris in Starkstrom-Vorwürfe zu kleiden: Sie sei eine Kommunistin, verrückt, werde Amerika und die Welt ruinieren, die Demokraten seien Faschisten. Ökologische Vorstellungen von alternativer Windkraft seien ein Horror, E-Lastwagen von Übel.

Seine Berater redeten auf ihn ein, er möge über Wirtschaft, Inflation und Steuern reden und das persönliche Wüten gegen Kamala Harris wenigstens vorübergehend einstellen. Auf einer Kundgebung fing er auch damit an, hielt das Sachliche jedoch nicht durch und ging auf seine Dauerbrenner ein: die Grenze zu Mexiko, Verbrechen im Land. So ließ er sich ein: 

„Also, ich rede über diese Sache, die sich Ökonomie nennt. Ich will eine Rede darüber halten. Viele Leute sind verzweifelt darüber, was mit der Inflation und anderen Sachen passiert ist. Also wollen wir eine intellektuelle Rede halten. Heutzutage sind wir ja alle Intellektuelle. Also machen wir es und es ist sehr wichtig. Angeblich ist es das allerwichtigste Thema. Ich meine, Verbrechen ist mindestens genauso wichtig. Ich persönlich glaube, die Grenze kommt gleich danach. Also, es heißt die Inflation ist sehr wichtig. Aber sie ist ja Teil der Ökonomie.“

Donald Trump sieht Schwärze, wohin er blickt, im Inland wie im Ausland. Er redet offen darüber, die Armee gegen Protest und an der Grenze einzusetzen, wobei es erlaubt sein soll, Demonstranten wie illegalen Immigranten ins Bein zu schießen. Darin eine autoritäre Wendung der Demokratie zu vermuten, ist keine Übertreibung.

Ist Trump der Heros des Gestern, so ist Kamala Harris die Heldin der modernen Gegenwart. Ob sie deshalb eine gute Präsidentin sein könnte, ist natürlich alles andere als ausgemacht. Brillante Wahlkämpfer, siehe Barack Obama, ernüchtern ihre Anhänger fast notorisch im Weißen Haus.

Und was sollten wir uns wünschen? Na ja, diese Antwort ist einfach.

Veröffentlicht auf t-online.de, gestern.