Benjamin Netanyahu hat gerade eine neue Offensive im Gaza angekündigt und will „bis zum Ende gehen“, wobei man sich fragen muss, was sich in diesem Jammertal noch militärisch eskalieren lässt. Seit März dürfen keine Lastwagen mit Lebensmitteln, Medizin usw. hineinfahren. Das Elend, das die Hamas mit ihrem mörderischen Angriff vor 19 Monaten ausgelöst hatte, schreit zum Himmel. Längst geht es um die dauerhafte militärische Besetzung des Küstenstreifens mit dem Ziel der partiellen Entvölkerung. In Washington reden sie davon, dass eine Million Palästinenser aus dem Gaza nach Libyen umgesiedelt werden sollen. Niemand weiß, ob es sich nur um ein Gerücht handelt oder um ernsthafte Bestrebungen und was Donald Trump davon hält.
Morgen treffen sich die Außenminister der Europäischen Union, um über ihr Verhältnis zu Israel zu diskutieren. Holland und Frankreich treten dafür ein, das Assoziierungsabkommen sofort auszusetzen. Dieses Abkommen aus dem Jahr 2000 regelt die Zusammenarbeit mit Dialog auf Ministerebene, mit Kapiteln über wirtschaftliche Kooperation, die Finanzdienstleistungen genauso wie Tourismus umfasst. In Artikel 2 steht aber auch ein Hinweis auf die Einhaltung der Menschenrechte, die in Gaza grell unberücksichtigt bleiben.
Zur Aussetzung oder gar Kündigung des Abkommens wird es jedoch nicht kommen. Dazu wäre die Zustimmung aller 27 Mitgliedsländer nötig. Aber Österreich, Ungarn und Deutschland legen ein Veto ein. Dabei quält sich vor allem Deutschland mit dem permanenten Gaza-Krieg, weil die Existenz Israels zum Bestandteil der eigenen Staatsraison gehört. Daher fühlen sich die Regierungschefs und Außenminister in der eigentlichen notwendigen Kritik an Netanyahu gehemmt.
Ohnehin ist der Einfluss der EU auf den Nahen Osten gering. Daran würde die Aussetzung des Assoziierungsabkommens nichts ändern. Das Monopol auf Einfluss üben die USA aus, wie sich gerade wieder erweist. Und wie Donald Trump dabei vorgeht, muss Israel beunruhigen, wenn nicht alarmieren, denn es geht um Iran und Syrien.
Netanyahu wiegte sich noch vor kurzem in der Illusion, dass Israel unter der Schirmherrschaft der Trump-USA den geschwächten Iran militärisch angreifen und dessen Atomanlagen zerstören würde. Statt dessen legten die Trump-Leute jetzt den Mullahs einen Vertrag vor, der sich mit der Verlangsamung des Atomprogramms zu begnügen scheint. Teheran habe „gewissermaßen den Bedingungen zugestimmt“, sagte Trump. Was immer aus diesem Satz folgen mag, bleibt die bloße Tatsache der Verhandlungen ein schwerer Schlag für den kriegsversessenen Premier Israels.
Auch in Syrien nutzte die israelische Luftwaffe in den vergangenen Wochen die Schwäche der Übergangsregierung mit Luftschlägen auf ausgewählte Ziele aus. Nun aber hat sich Donald Trump mit dem Präsident Ahmed al-Schaara getroffen, den er im Bewunderungston „stark“ und „einen Krieger“ nannte. Ihm stellte er die Aufhebung der Sanktionen in Aussicht. Eine historische Zäsur, was denn sonst.
Aus Israels großem Freund Donald Trump, der Netanyahu freie Hand ließ, ist jetzt nicht etwa ein Feind geworden. Er führt nur vor, was ihm wichtig ist. Unübersehbar ist auch, dass dieser Präsident sich nicht in Kriege hineinziehen lassen will. Deshalb reduziert er das Engagement in den Konflikten mit Ewigkeitspotential, was Syrien ebenso einschließt wie Iran.
Was bedeutet das alles für Israel? Zudem der US-Präsident auf seiner Tour durch die Golfstaaten Israel mied, was einem Affront gleichkommt?
Natürlich bleibt das Sonderverhältnis zur USA bestehen. Es hat aber Grenzen, die Trump nach Bedarf zieht. Dass er sich zu Gaza äußern werde, hat er gerade angekündigt: „Wir werden uns darum kümmern.“ In Washington grassiert die mögliche Botschaft an Netanyahu: Tu das nicht, treib’s nicht zu weit, lass es sein. Was damit konkret gemeint ist? Weiß Trump vielleicht selber noch nicht.
Soweit Trump eine Doktrin hat, gehört der Rückzug aus Europa und dem Nahen Osten zu deren Bestandteilen. Soweit ein Ziel zu erkennen ist, ist es die Konzentration auf die historische Auseinandersetzung mit China.
Momentan steht Donald Trump unter dem Eindruck der Reise in die Golfstaaten. Deren Herrscher hofierten und umschwärmten ihn so, wie er es liebt, inklusive der Morgengabe einer Boeing 747 für den späteren Privatgebrauch. Saudi-Arabien verspricht, gewaltige Summen in den USA zu investieren und bestellt Rüstungsgüter in Höhe von 148 Milliarden Dollar. Die Emirate versprechen Gleiches.
Trump liebt Autokraten, weil sich mit ihnen unvorstellbare Geschäfte machen lassen. Und nicht nur er persönlich, sondern auch seine Unternehmen haben den Nutzen davon: Nebenbei entstehen zwei Trump-Tower in Saudi-Arabien und ein Trump-Golfplatz in Dubai. Die Verquickung von persönlichen und staatlichen Interessen ist atemberaubend. Es scheint altmodisch zu sein, darin Korruption zu sehen.
Donald Trump hat im Nahen Osten neue Akzente gesetzt. Wie immer bei ihm kann morgen wieder vieles anders sein. Willkür, Spontanität und Unrast des Gemüts setzen sich bei ihm in Politik um. So bleibt vieles vorläufig und ist auf Wiederruf angelegt. Genauso gut kann es aber bei dem Verabredungen am Golf bleiben.
In Trumps Ära ist die Weltgeschichte in ständiger Bewegung und niemand als er steht im Zentrum. Heute will er mit Wladimir Putin telefonieren. Sicherlich hat auch Netanyahu dringenden Redebedarf angemeldet. Und dann wartet der G-7-Gipfel in Kanada auf Trump. Da lässt sich vieles durcheinander schütteln und wir Europäer sind zu gebanntem Zuschauen verdammt.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.