Hüten wir uns vor Wunschdenken

online: Herr Ischinger, Sie waren auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee. Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Ischinger: Positiv fiel mir die Begeisterung auf dem vorzüglich organisierten Parteitag für Donald Trump auf. Negativ fiel mir auf, dass diese rohe, lärmende Partei eine ganz andere Partei als der klassische „Country Club“ ist, der sie mal war. John McCain, aber auch Ronald Reagan hätten sich in Milwaukee fremd gefühlt. Vermutlich hätten sie sich sogar für diese Anhängerschaft geniert. Das gute Benehmen des klassischen, schlipstragenden US-Gentleman stand nicht gerade im Vordergrund. 

Was sehen seine Anhänger in Donald Trump?

Den Anführer gegen ein Washingtoner Establishment, das diese Leute für durch und durch korrupt ansehen. Trump ist ihr Herakles, der verspricht, den Stall auszumisten. 

Wie versteht sich Trump selber?

Als inzwischen von Gott gesalbter Feldherr im Kampf gegen das Establishment. Dass er das Attentat überlebt hat, stärkt seinen Narzissmus.

Stimmt die These, dass der Trumpismus inzwischen eine Weltanschauung darstellt, die über Trump hinausweist?

Elemente eines Personenkults sind im Trump-Camp ja schon länger sichtbar. Seit dem Attentat nimmt er noch rasant zu. Der Parteitag grenzte an eine Krönungsmesse. Und Trumps Vize, der kaum 40jährige JD Vance, könnte tatsächlich zu einer über Trump hinausweisenden Führungsfigur werden. 

Sie waren Botschafter in den USA, als George W. Bush regierte. Wodurch unterscheidet sich die republikanische Partei heute von de damals?

Die klassischen Republikaner vom Schlage etwa der Familie Bush oder zum Beispiel der frühere Außenminister Mike Pompeo oder die ehemalige Uno-Botschafterin Nikki Haley repräsentierten das Ostküsten-Establishment, das transatlantisch ausgerichtet und mit Europa stärker als mit Asien verbunden ist. Diese klassischen Republikaner wirkten fast wie Fremdkörper auf dem Parteitag. Aber natürlich spielen sie mit, denn am Ende geht es ja auch um Ministerämter. 

Hat sich Joe Biden noch rechtzeitig als Kandidat zurückgezogen und was gab den Ausschlag dafür?

Gerade noch rechtzeitig, denke ich. Der körperliche und beginnende geistige Verfall war ja nicht mehr zu übersehen. So hat er sich zu einer großen menschlichen und politischen Geste aufgerafft, die ihm sicherlich nach mehr als 50 Jahren in der Politik sehr schwer fiel. Aber: Money talks, wie man in Milwaukee sagte – die Spendeneinnahmen gingen nach Joe Bidens verheerendem TV-Auftritt massiv zurück. Panik brach unter den Demokraten aus. Jeder Kongress-Abgeordnete steht ja am 5. November zur Wahl, genauso wie ein Drittel der Senatoren. Das Rennen gegen Trump schien schon lange vor dem Parteitag der Demokraten im August verloren zu sein. 

Ist Kamala Harris die beste Wahl oder nur die naheliegende Wahl?

Unter den aktuellen Umständen ist sie ganz klar sowohl die beste als auch die naheliegende Wahl. 

Sie kennen Kamala Harris. Worin liegt Ihre Stärke?

Anders als  der bedrohlich wirkende Trump ist sie eine sympathische Frau, die Lebensfreude ausstrahlt, auch durch ihr ansteckendes Lachen. Außerdem ist sie 18 Jahre jünger als Trump. Beim Thema Altersschwäche kann sie jetzt den Spieß herumdrehen. 

Hat sie die nötige Härte für einen höllischen Wahlkampf?

Ganz sicher bringt sie Härte und Standvermögen mit. Zudem hat sie als jahrelange Staatsanwältin durchaus Biss. Ihre intellektuelle Schärfe hat  sie auch als Senatorin oftmals unter Beweis gestellt.

Trump überzieht sie schon mit Kaskaden von Beleidigungen. Was würden Sie ihr als Reaktion empfehlen?

Sie macht das gut, finde ich, denn sie zieht schon jetzt die Karte, die vermutlich in ihrem Sinne wirkt: Sie als Profi-Anklägerin steht dem Mehrfachtäter Donald Trump gegenüber.

Worin liegt Kamala Harris’ Schwäche?

Sie musste sich nicht dem Fegefeuer der Vorwahlen stellen. Dieses Manko schwächt ihre Legitimation. Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob Amerika schon so weit und imstande ist, eine nichtweiße Frau zu wählen  – das ist die ganz grosse offene Frage. 

Trauen Sie ihr zu, im TV-Duell gegen Trump zu bestehen?

Durchaus. Sie ist ja geübt darin, den Gegner im Gerichtssaal fertig zu machen. Allerdings haben sich viele Wähler längst festgelegt und ihnen ist es egal, wer im Wahlkampf jetzt rhetorisch und inhaltlich besser wirkt. 

Barack Obama hat noch immer große Autorität unter den Demokraten. Er schwieg auffällg lange zur Kandidatin Harris. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Nein, aber vielleicht dachte er, dass er ihr damit keinen Gefallen tun würde, wenn er sie ganz schnell öffentlich unterstützt, weil er damit nur das rassistische Schwarz-Weiß-Argument anheizen würde.

Weiß gegen Schwarz, illiberal gegen liberal, Macho gegen emanzipierte Frau, Immigranten-Ideologe gegen Einwandererkind: Mehr Symbolik geht kaum in einem Wahlkampf. Welchem Narrativ geben Sie die größeren Chancen auf Durchsetzung?

Es könnte auf die Konfrontation zwischen dem alten bösen Macho und Abtreibungsgegner mit der liberalen, emanzipierten, selbstbewussten Frau hinauslaufen.

Die Demokraten haben sich bisher damit begnügt, Trump als Kriminellen, Lügner und Verderber der Nation zu stigmatisieren. Ist das genug als Strategie?

Nein, sie müssen nicht nur behaupten, dass Donald Trump der falsche Präsident wäre. Sie müssen mit ihrer Strategie vorführen, dass Kamala Harris die Richtige für Amerika ist, weil sie den Job kann und das bessere Programm für ihr Land hat.

Viel hängt von dem Team ab, das Kamala Harris um sich versammelt. Haben Sie den Eindruck, dass sie auf gutem Wege ist?

Da traue ich ihr einiges zu. Ihren außenpolitischen Berater Phil Gordon kenne ich seit vielen Jahren, er ist ein transatlantischer Profi. Da mache ich mir keine Sorgen. Sie kann sich ja im übrigen in vieler Hinsicht auf das erfahrene Biden-Team im Weißen Haus stützen. Das hilft ungemein. 

Was würde ein Sieg von Trump für Amerika und Europa bedeuten?

Wir sollten nicht in Panik ausbrechen. Wir sollten auch nicht Trump unnötig dämonisieren! Seine zweite Präsidentschaft wäre nicht gleichbedeutend mit dem  Ende der transatlantischen Partnerschaft, aber sie würde eine weitere Entfremdung auslösen und erhebliche sicherheitspolitische Risiken verursachen. Dazu kämen weitere handelspolitische Belastungen.

Was würde der Sieg von Kamala Harris für Amerika und Europa bedeuten?

Auf jeden Fall aussenpolitische Kontinuität, anstatt transatlantischem Auseinanderdriften. Gesellschaftlich betrachtet, könnte Amerika ähnliche Modernisierungsschritte wie in Europa unternehmen.

Und nun Ihr Tip: Wer von beiden wird das Rennen machen?

Wir müssen uns vor Wunschdenken hüten. Ich lag 2016 falsch, als ich Hilary Clinton als Siegerin vorne sah. Sagen wir es mal so: Ich halte es für möglich, dass Kamala Harris Donald Trump schlagen wird. Sicher ist das aber noch lange nicht.

Veröffentlich auf t-online.de, heute.