Der Krieg im Gaza zieht Amerika tiefer hinein, als Joe Biden je wollte. Noch scheitern Bemühungen um Waffenruhe und politische Lösungen an Premier Netanjahu. Aber wie lange noch?
Ich habe schon immer Diplomaten bewundert, die nicht damit nachlassen, immer wieder Vorschläge für mehr Frieden im Nahen Osten zu unterbreiten. Anthony Blinken ist so ein Unermüdlicher. Er fliegt von Amman nach Kairo, von Jerusalem nach Riad und lotet mit einem Höchstmaß an Disziplin und Geduld aus, was sich zum weniger Schlechten verändern lässt. Eigentlich ist er ein flotter Zeitgenosse, der Sportwagen liebt und ziemlich gut Gitarre spielt, so habe ich ihn vor 20 Jahren kennengelernt, aber inzwischen gleicht er eher einem Schmerzensmann, gezeichnet von Erschöpfung und Frustration.
Amerika ist noch immer eine entscheidende Macht in dieser Weltgegend, das zeigt sich jetzt. Der Gaza-Krieg zieht Joe Biden sogar weit tiefer hinein in den vorherrschenden Irrsinn, als er je wollte. Seit vorigen Donnerstag heben Kampfjets vom Flugzeugträger „Dwight D. Eisenhower“ ab und zielen auf Stützpunkt der Huthi im Jemen. Großbritannien macht wieder mit, denn darin liegt eine Gelegenheit, das Sonderverhältnis zu den USA herauszustellen. Die Niederlande, Australien und Kanada leisten – neben Bahrain –Unterstützung, logistisch und bei der Aufklärung. Da ist reichlich viel Nato dabei, um die Huthi daran zu hindern, den globalen Handelsverkehr aus dem Roten Meer zu vertreiben.
Das Risiko auf diesem Nebenkriegsschauplatz, mit dem nicht jeder Experte gerechnet hatte, ist kaum zu unterschätzen. Dass die Hisbollah aus dem Libanon den Norden Israels unter Raketen setzen würde, lag nahe. Aber die Huthi, die so etwas wie die Taliban im bitter armen Jemen sind? Iran hat eben etliche Eisen im Feuer und wird es mit grimmiger Freude beobachten, wie die USA, der „große Satan“, dazu gezwungen wird, dem „kleinen Satan“ Israel beizuspringen.
Iran ist der Marionettenspieler im Hintergrund. Allzu amüsiert können die schiitischen Mullahs aber nun auch wieder nicht die Entwicklung der Ereignisse beobachten, wie mehrere Attentate der letzten Wochen belegen, zuletzt bei der Totenfeier für eine Regime-Ikone. Auch ist die Aussöhnung mit dem sunnitischen Erzfeind Saudi-Arabien, ausgerechnet von China orchestriert, im Gaza-Krieg verblichen. Mohammed Bin Salam, der Herrscher, hält es momentan mit den westlichen Freunden Israels. Auch seine Luftabwehr holt Huthi-Drohnen und -Raketen vom Himmel. Dafür bekommt Bin Salam nun Lenkflugkörper aus Deutschland geliefert.
Saudi-Arabien ist ein wichtiger Faktor für jede politische Neuordnung des Nahen Ostens nach dem Gaza-Krieg. Mit Zuversicht muss man natürlich in dieser Region sparsam umgehen, wie die Erfahrung lehrt. Aber immerhin zeigt der Krieg eine politische Dynamik, die vor dem 7. Oktober nicht am Horizont lag.
Amerika ist die Schutzmacht Israels und auch deren größter Kritiker. Amerika hat schmerzhaft in ihrer Geschichte erfahren, dass man wissen muss, was hinterher sein soll, wenn man in einem Land militärisch interveniert. Auf Netanjahu haben Biden wie Blinken mit Engelszungen eingeredet, eine politische Lösung anzubieten, vergeblich. Netanjahus Karriere gründet darauf, die Siedlungen im Westjordanland auszubauen, egal was das Völkerrecht dazu sagt, und die Zwei-Staaten-Lösung für tot zu erklären, egal welche Hauptstadt anders darüber denkt. Nur ohne ihn ist an eine Alternative zum Krieg denkbar.
Deutschland macht seine eigene Erfahrungen mit Israel. Deutschland bewegt sich vielleicht auch deshalb jetzt im Gleichklang mit Amerika. Außenministerin Annalena Baerbock tourte parallel zu Anthony Blinken durch die Hauptstädte. Nach längerem Schweigen hat sie den Ton gegenüber Israel verschärft. Wie Blinken drängt sie auf mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, auf ein entschiedenes Einschreiten gegenüber militanten Siedlern im Westjordanland, zeigt sich entsetzt über die Zahl der palästinensischen Opfer und über die humanitäre Katastrophe im Gaza.
Die Veränderung der Tonlage fällt Annalena Baerbock sicherlich nicht leicht. Vor genau 9 Jahren verknüpfte Angela Merkel Israels Existenz mit der deutschen Staatsraison. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist seither beschwiegen worden. Reicht moralische Unterstützung, wie nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober? Müsste die Bundeswehr in einen großen Nahost-Krieg, der ja jederzeit möglich ist, mit eigenen Truppen eingreifen? Genügt Teilnahme an einer Uno-Friedensmission im Gaza nach dem Krieg?
2015 regierte wie heute auch Benjamin Netanjahu. Anders als damals gehören aber heute seiner Regierung zwei wichtige Minister an, die öffentlich über die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza phantasieren und ernsthaft vorschlagen, dass Israelis sich dort ansiedeln. Das verändert die Sachlage und deshalb sind offene Worte nur angemessen.
Südafrika ist weiter gegangen. Südafrika klagt vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag Israel wegen Völkermords an und zwar seit 1948, der Staatsgründung. Das ist der schwerst mögliche Vorwurf für ein Land, das auch zur Heimstätte der Holocaust-Überlebenden wurde. Nun ist Südafrika nicht gerade ein Musterbeispiel für eine stabile und prosperierende Demokratie, um es milde auszudrücken. Aber die innewohnende Symbolik ist gar nicht zu übersehen: Hier klagt der globale Süden das Land an, das unter dem Schutz des Westens steht – und zwar vor einem Gerichtshof der Uno.
Auch deshalb kann man nur hoffen, dass die Unermüdlichen weiterhin an mehr Frieden in dieser friedlosen Region arbeiten. Der Krieg zieht sich hin, das schon, aber vielleicht ja weniger lange als befürchtet. Denn der Druck auf den obstinaten Premier Netanjahu dürfte bald schon aus einem besonderen Grund zunehmen. Wenn Joe Biden wiedergewählt werden will, tut er gut daran, als Friedensstifter in Erscheinung zu treten, spätestens im Sommer.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.