Die Welt schaut ziemlich hilflos zu, wie sich der Krieg im Gaza in seiner zweiten Etappe entfaltet. Auf die größte Stadt im Süden, Chan Yunis, fielen Bomben und nun ist dort die Bodenoffensive im Gange. Die Hamas macht, was sie immer macht, sie versteckt sich unter Zivilisten, die folgerichtig auch getötet werden. 20 000 Kämpfer unter 2 Millionen Menschen, was für ein Alptraum.
Benjamin Netanjahu hat noch einmal das Kriegsziel in seiner Starkstromsprechweise bekräftigt: totale, absolute Eliminierung der Hamas. Keine Ahnung, ob er wirklich daran glaubt, dass die Armee oder der Geheimdienst Jahia Sinwar und Mohammed Deif und all die anderen töten kann, so dass danach Ruhe im Gaza einkehrt. Umgekehrt verläuft die Logik: Vermutlich wird die nächste Garde der Hamas in diesem Krieg rekrutiert, der aus dem Gaza ein Trümmerfeld mit vielen Tausend Toten am Mittelmeer macht.
Niemand fragt danach, wie die leidenden Menschen ihre Lage beurteilen – doppelt belagert, wie sie sind, von den israelischen Streitkräften und den Milizionären mit ihrem Tunnelsystem, aus dem heraus sich ein asymmetrischer Krieg führen lässt. Die einen werden beide Besatzer verfluchen, die anderen aber in der Hamas die islamische Kraft sehen, die es den Israelis am 7. Oktober gezeigt hat. Kriege kitten gespaltene Gesellschaften, wie sich ja auch an Israel erkennen lässt.
Fatalerweise ist sowohl der Hamas als auch dem israelischen Premierminister an einem langen Krieg gelegen. Die Hamas wollte ihn mit ihrer „Razzia“ in Israel (so ist ihr Sprachgebrauch) auslösen, was ihr zweifellos gelang. Sie lebt für den Krieg gegen Israel. Je länger er andauert, desto schwerer wird es zum Beispiel den Staaten am Golf fallen, ihre Aussöhnungspolitik mit Israel fortzusetzen.
Netanjahu kennt nur noch militärische Superlative. Denn solange der Krieg anhält, kann er nicht politisch zur Rechenschaft gezogen werden. Ist der Krieg erst einmal vorbei, ist es auch mit ihm vorbei. Nicht zufällig spricht Netanjahu davon, dass der Krieg sich noch lange hinziehen wird. Nicht zufällig weist er jede Schuld an der Blindheit am 7. Oktober weit von sich.
Den Staaten, die es besonders gut mit Israel meinen, hat der Premierminister bedeutet, dass er sich von ihnen nichts sagen lässt. Amerika redete in Gestalt des Präsidenten, der Vizepräsidentin und des Außenministers auf ihn ein, dass er sich eine politische Lösung für den Tag danach einfallen lassen soll. Hat er vorher nicht, wird er jetzt auch nicht, zumal seine Regierung auseinander fiele, wenn er zum Beispiel die Zwei-Staaten-Lösung wiederbeleben würde, was er ohnehin nicht tun wird.
Annalena Baerbock hat ihre Pendeldiplomatie nicht zufällig eingestellt.Wenn überhaupt hat sie nur vorsichtig Bedenken über Netanjahu Kurs geäußert. Man wüsste gerne, was der Kanzler, die Außenministerin und der Verteidigungsminister einander erzählen, wenn sie sich über ihre Erfahrungen mit dem Nahen Osten austauschen. Nach hektischen Reisen in den ersten Kriegstagen sind sie ins Schweigen verfallen und widmen sich dem Haushalt 24.
So richtig es ist, Israels Existenzrecht zur deutschen Staatsraison zu erheben, so richtig wäre es jetzt, Kritik an der israelischen Regierung zu üben, der nichts einfällt außer Krieg und Eliminierung und Vernichtung. Ein Herz aus Stein muss haben, wem Mitleid mit den toten Kindern, Frauen und Alten, gestorben im Krieg gegen die Mörder vom 7. Oktober, versagt bleibt. Kann es sein, dass das Bedürfnis nach Rache über ein Mindestmaß an Menschlichkeit siegt? Und wie groß muss die humanitäre Katastrophe im Gaza ausfallen, damit wenigstens wieder Wasser und Strom ließen dürfen?
Israel ist auf bestem Wege, das Kriegsziel nicht zu erreichen und die Solidarität des Westens zu erschweren. In seinem eigenen Interesse kann das eigentlich nicht liegen.
Veröffentlicht auf t-online.de, am Freitag.