Von der List der Vernunft überwältigt

Am zweiten Weihnachtsabend fragte mich jemand, was von 2020 bleiben werde, als Produkt der Pandemie. Typische Frage bei Rotwein, wenn uns die Reste der Gans vorwurfsvoll ansehen und das ersterbende Gespräch wiederbelebt werden muss.

Erstens: Der Kapitalismus hat sein klassisches Doppelgesicht im ablaufenden Jahr gezeigt, das ist schon mal wichtig. Der Staat, in Gestalt unserer Regierung, federt mit ungeheuer viel Geld so viele negative Folgen wie irgend möglich ab. Staatskapitalismus ist zwar keine begeisternde Utopie, sonst wäre Deutschland allezeit ein kleines China, aber im Notstand fällt die soziale Marktwirtschaft eben darauf zurück und das ist gut so, das wissen wir jetzt. Vorübergehend nur soll der Staat stark sein, das ist ausgemacht, auch wenn der eine oder andere Linke im Lande an ihm Gefallen findet, und auch der eine oder andere Rechte ohnehin Stärke für einen Selbstzweck hält. Die Extreme berühren sich eben immer wieder.

Die Kehrseite des Kapitalismus ist das Hütchenspiel, mit dem der digitale Dienstleister Wirecard den Finanzmarkt zum Narren hielt. Betrug und Hochstapelei, Schneeballsysteme und Ponzo-Spielchen gehören unabänderlich zum freien Spiel der Kräfte hinzu, da muss man sich keine Illusionen machen. Wenn aber nur ein Konzern die Kunden und Banken um ein paar Milliarden Euro schröpft, sind Lug und Trug zu verkraften.

Man muss sich nur kurz mal vorstellen, wie die Welt aussähe, wenn eine Finanzkrise wie im Jahr 2007/08 Covid-19 flankieren würde. Eine Pandemie ist schlimm genug. Zwei Pandemien wären die Hölle.

Zweitens: Einer meiner Lieblingsgedanken ist dieser: Es gibt die List der Vernunft, die sich hinterrücks durchsetzt, ohne dass es derjenige ahnt, auf den sie es abgesehen hat. Ohne Pandemie wäre Donald Trump Präsident geblieben. Ohne seine steinerne Gleichgültigkeit gegenüber den Toten wäre er Amerika nochmals vier Jahre erhalten geblieben. Er konnte ja sich leisten, was er wollte, und wir konnten uns so maßlos empören, wie wir wollten: Nichts konnte ihn beeindrucken, aber die Pandemie kann es.

Trump muss es in den Wahnsinn treiben, dass ein Mann, der noch älter ist und eigentlich keine Zukunft mehr hatte, am 20. Januar seine Stelle im Weißen Haus einnehmen wird. Ohne Trump kein Joseph Biden jr.

Die List der Vernunft hat zugeschlagen.

Drittens: Boris Johnson hingegen ist nur ein Clown, kein Mephisto. Bevor ihn die Kombination aus Pandemie und Brexit wegfegen kann, biegt er bei. Schnell noch macht er, was er in schöner Selbstgefälligkeit nicht machen wollte, und lässt sich auf einen Handelsvertrag mit der Europäischen Union ein. Mag er ihn noch so wortreich als geniales Abwarten bis zur allerletzten Minute ausgeben, weiß doch jedermann, dass er knapp eine Katastrophe abwendete. Kurz vor Weihnachten konnte das Königreich absehen, was ein vertragsloser Zustand bedeuten würde, als Europa die Grenzen dicht machte: leere Regale und volle Lastwagen, die sich in Calais stauen. Auch Boris Johnsons Besinnung kann man unter List der Vernunft abbuchen.

Viertens: Dass es nicht zum Bruch mit Großbritannien kommt, ist auch ein Verdienst der unermüdlichen Verhandlerin, die wir in unserer Bundeskanzlerin haben. Ab jetzt dreht sie ihre letzte Runde und wenn sie im September abtritt, ist hoffentlich die Pandemie so gut wie vorbei. Zugleich können wir uns schon ab der zweiten Januarhälfte an den Gedanken gewöhnen, dass ein frisch gewählter Bundesvorsitzende der CDU sie beerben will.

Der Kontrast dürfte allerdings wenig erbaulich ausfallen. Was Angela Merkel lässig aus dem Ärmel schüttelt, muss sich der Neue erst mühselig aneignen, auch wenn Friedrich Merz so groß von sich denkt, als sei er für die Kanzlerschaft geboren und nur durch unglückliche Umstände noch nicht dort angelangt, wohin er gehört, während Armin Laschet mit seinem Weiter-so-wie-unter-Angela-Merkel die Bescheidenheit  zur Tugend erklärt. Natürlich wollen wir auch nicht Markus Söder vergessen, den Ich-habe-Recht-und-zwar-immer-egal-was-ich-sage. Zyniker würden sagen: Das wird noch lustig mit den Dreien.

Erst einmal klingt das Jahr der Pandemie still aus. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass sich die Zahl der Infizierten und Toten bis zum 10. Januar erheblich vrringern wird. Der Lockdown, er wird verlängert und vielleicht sogar noch einmal verschärft. Na ja, immerhin hat der Wettlauf zwischen Virus und Impfung begonnen. Daraus lässt sich gedämpfte Zuversicht für 2021 schöpfen, ist doch was.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.

Letzte Tage mit The Donald

Vor kurzem begnadigte der amerikanische Präsident den General Michael Flynn, der wenige Wochen lang sein Nationaler Sicherheitsberater gewesen war. Loyalität wird belohnt, so hält es die Mafia und so halten es Autokraten vom Naturell Donald Trumps. Flynn war ja nur Lug und Trug nachgewiesen worden, weshalb er einem Deal einwilligte und ins Gefängnis musste, aber er packte nicht aus. Lug und Trug sind kein Maßstab in diesem Weißen Haus. 

Aus Dankbarkeit verfiel der begnadigte General auf die formidable Idee, der Präsident möge doch das Kriegsrecht im Land einführen, um zu verhindern, dass Joseph Biden jr. Präsident werden kann, da doch nun einmal Donald Trump die Wahl haushoch gewann, was eindeutig durch die Tatsache nachweisbar ist, dass Donald Trump höchstselbst dieser unumstößlichen Überzeugung anhängt, egal was die Gerichte sagen mögen, vor die seine Unterlinge für ihn gezogen sind, unerschüttert vom Sammeln von Niederlage auf Niederlage.

Was mit einem Führerbunker gemeint ist, lässt sich an der Pensylvania Avenue 1600 studieren. Hier in seinem Amtssitz verharrt Trump unmaskiert mit seinen Getreuen, die sich nach und nach das Virus einfangen. Wer ihm darin zustimmt, dies sei die korrupteste Wahl in der Geschichte der USA, darf bleiben. Wer Zweifel erkennen lässt, wie der Justizminister William Barr, wird von der Tafelrunde verbannt, egal wie tapfer er das Lied des Herrn jahrelang gesungen hat. Wer sich für den großen Donald bis zur Lächerlichkeit aufreibt wie Rudy Giuliani, darf auf präventive Amnestie hoffen. Und wer sich vor den TV-Kameras impfen lässt, wie Vizepräsident Mike Pence, gilt im Führerbunker als Weichei.

Was ist schon diese Pandemie mit 17,6 Millionen Infizierten und 310 000 Verstorbenen in den USA im Vergleich zur persönlichen Tragödie Donald Trumps, der das Weiße Haus verlassen muss, von dem aus er so stilvoll zum Golfen in seine Resorts fliegen konnte. Die Tragödie besteht darin, dass diesmal alles Leugnen nichts hilft, dass seine Macht nicht hinreicht, um die Fakten zu fälschen. Ihm bleibt nur Destruktion aus Rache und deshalb vergiftet er das Land so sehr er nur kann.

Es fällt schwer, die letzten Tage des Donald Trump ohne Sarkasmus zu beobachten. Sarkasmus macht keinen Spaß. Sarkasmus erwächst aus der Irritation über Verantwortungslosigkeit von Figuren, für die Verantwortung keine Kategorie ist, weil für sie nur eines zählt, genauer gesagt nur einer: das IchIchIch.

Niemand außer Trump kann ernsthaft bestreiten, dass die Pandemie eine erschütternde Tragödie ist. Weltweit 1,69 Millionen Menschen sind schon am Virus gestorben, Tendenz in vielen Ländern steigend, auch in Deutschland. Kleine Länder wie Litauen und Schweden sind momentan besonders schlimm betroffen. In England und Südafrika tritt eine verschärfte Mutation von Covid-19 auf. Solche verheerenden Informationen überlagern sogar den Beginn der Impfung in Amerika und Großbritannien und bald auch in Deutschland. 

Im Rückblick auf das Jahr der Pandemie ragt dieses Phänomen, das Trump ist, bei weitem heraus. Der Trost, dass er am 20. Januar das Feld räumen muss, fällt schal aus. Joe Biden erbt die Pandemie und das vergiftete Land; darum ist er nicht beneiden. Gegen Trump ist selbst Boris Johnson ein halbwegs kurierter Clown, weil er für sein Land die Konsequenzen aus Corona zieht und seine Spielchen auf die Auseinandersetzung mit der Europäischen Union beschränkt, bei der es vermutlich bis zur letzten Minute um einen neuen Handelsvertrag nach dem Brexit gehen wird.

Amerikas neues Jahr beginnt erst am 20. Januar, wenn Joe Biden ohne das übliche Brimborium vereidigt wird. Bescheidenheit ist angemessen, solange die Pandemie wütet. Ein bisschen Hoffnung darf sein, weil Donald Trump, der böswillige Narziss, sich einen anderen Standort für seine vergifteten Tweets suchen muss.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.

Der Mann, der uns George Smiley schenkte

Ich war jung, als ich David Cornwell, alias John le Carré, kennenlernte und ungemein beeindruckt war von ihm. Er war ein feinsinniger Mann mit schmalem Kopf, der gerne lächelte. Lautes Lachen erschien ihm wohl unangemessen, wie er die Welt sah, als einen Tummelplatz seltsamer Spione, gebrochen und tückisch und besessen von ihrem Handwerk, das sie zum Scheitern verdammte, selbst im Erfolg Außerdem war er nun einmal Brite und benahm sich auch so, obwohl er keineswegs aus guter oder gar wohlhabender Familie stammte, eher aus dem Gegenteil. 

Er mochte Deutschland, er kam regelmäßig herüber. Er lebte in jungen Jahren in Bonn und Hamburg, sprach gut deutsch in diesem behutsamen Singsang, weil Menschen sich in einer zweiten Sprache, so gut sie sie auch sprechen, stets in der Angst vor Fehlern bewegen, die sie in Verlegenheit stürzen könnten.

In einem seiner letzten Interviews erzählte Le Carré von seinen Ursprüngen als Autor von Kriminalromanen. „Ich habe das Glück gehabt,“ sagte er, „dass ich mit einem Thema auf die Welt kam.“ Das Thema war nicht etwa der Kalte Krieg in der geteilten Nachkriegswelt, das Thema war sein Vater. Der war ein ebenso außergewöhnlicher wie unersättlicher Krimineller, ein lebenslanger Hochstapler mit Verbindung zum organisierten Verbrechen in London.

„Eine endlose Prozession faszinierender Leute“ mit verbrecherischem Hintergrund habe seine Kindheit bevölkert, sagte le Carré in diesem Interview. Er habe gar nicht gewusst, was Wahrheit ist. Wahrheit war das, womit man durch kam. Die Mutter brannte mit einem Geschäftsfreund ihres Mannes durch, als David 5 Jahre alt war. Der Vater sagte, sie sei tot. Dann steckte er ihn und seinen Bruder in teure Internate, weil Hochstapler eben groß denken. 

Was wird aus so einem Kind, Jugendlichen, jungen Mann, der so aufgewachsen ist? David Cornwell flüchtete in die Institutionen, die hinter seinem Vater her waren. Als Student in Bern erwies er dem britischen Auslandsnachrichtendienst M.I. 6 kleine Dienste. In Oxford dann arbeitete er für den Inlandsgeheimdienst M.I. 5 und horchte kleine kommunistische Studentenzirkel aus.

In England gehörte es im und nach dem Krieg dazu, dass einige Studenten aus bestem Haus eine seltsame Vorliebe fürs Spionieren entwickelten. Kim Philby zum Beispiel war Teil einer Clique, die der Sowjetunion Geheimmaterial zukommen ließ. Le Carré tat das Gegenteil und hatte keine sonderliche Sympathie für die Kilbys seines Landes. In „Dame, König, As, Spion“ verarbeitete er diese fünfte Kolonne, deren Enttarnung ein Riesenskandal in England war.

Ehe David Cornwell zu John le Carré wurde, unterrichtete er den Nachwuchs der britischen Elite in Eton und versuchte sich als Kinderbuch-Illustrator. Dann trat er vollends dem Inlandsgeheimdienst bei und lernte Agenten zu führen, Telefone anzuzapfen und andere Spione zu verhören, eben das reiche, seelenlose Handwerk, aus dem er später seine Geschichten schöpfte.

Sein berühmtestes Buch blieb „Der Spion, der aus der Kälte kam“. Le Carré war gleich nach dem Mauerbau nach Berlin geschickt worden. Berlin war das Dorado für sämtliche Geheimdienste der Erde. Ein idealer Ort für diesen Roman, der zum ersten unter zahllosen Bestsellern geriet, 1965 verfilmt, mit Richard Burton in der Hauptrolle.

Le Carré wies damals seine Bank an, sie möge ihn benachrichtigen, sobald 20 000 Pfund auf seinem Konto lägen. Als es soweit war, schied er aus dem Dienst aus und war fortan ein freier Mann, ein freier Schriftsteller. Er kreierte seine eigene Welt aus Spionen und brachte darin Biographisches aus dem echten Leben unter.

John le Carrés Hauptfigur ist George Smiley. Er ist klein und dick. Ein ebenso bescheidener Melancholiker wie brillanter Mann. Er ist der Inbegriff des desillusionierten Meisterspions, der an seinem Dienst irre wird und den seine Frau betrügt.

 Zugleich ist Smiley so etwas wie Carrés Ersatzvater für den leiblichen Vater, dem Monster an Lüge und Betrug, für den der Sohn immer wieder aufkam, wenn er pleite war, Schulden angehäuft hatte, ohne je zur Besinnung zu kommen. Le Carré sagte dazu: „Smiley war als Vaterfigur in meiner Phantasie die genaue Antithese zu meinem echten unberechenbaren Vater.“

In seinem letzten Buch „Federball“ ist Carré ganz in der Gegenwart angekommen. Der amerikanische Präsident lässt seinen Geheimdienst mit den Briten zusammenarbeiten, um die demokratischen Institutionen der Europäischen Union zu untergraben. „Schrecklich plausibel“ nannte Le Carré diese Romanhandlung und verwies auf Donald Trump. Die Gegenwart liefert nun einmal die besten Geschichten, die niemand glauben würde, dächte ein Autor sie sich nur aus. 

Am Ende seines Lebens wollte David Cornwell nicht einmal mehr Brite sein. Den Brexit fand er grauenvoll, besser gesagt fand er die Menschen grauenvoll, die den Brexit wollten und auch diejenigen, die ihn nicht verhinderten. So wurde aus ihm im Oktober 2019 ein Staatsbürger der Republik Irland.

60 Jahre lang hat John Le Carré Bücher geschrieben. Die Welt mit Geschichten beschenkt, die unsterblich sind. Bescheiden ist er geblieben und unnachgiebig in seinem Eigensinn. Was für ein Leben, was für ein Mann, was für ein Werk! Danke, David.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute morgen.

Der BVB und seine Trainer

Borussia Dortmund hat seinen Trainer Lucien Favre entlassen. War abzusehen, stand schon länger bevor und als Mats Hummels am Samstag nach der 1:5 Klatsche gegen den Neuling VfB Stuttgart ein paar passende Bemerkungen machte, tickte die Uhr.

Es geht nicht um Favre, der Reyna dazu verhalf, ein richtig guter Spieler zu werden, der Sancho richtig behandelte, der überhaupt einzelne Spieler bestens entwickelte, aber die Mannschaft verlor. Es geht um Achim Watzke, der einen elementaren Fehler machte und dann nacheinander Bosz, Stöger und jetzt eben Favre entlassen musste. Ich wüsste wirklich zu gerne, ob er sich eingesteht, woran die Misere mit diesen drei Trainern krankt.

Der letzte Titel, den Borussia Dortmund gewann, liegt ein paar Jahre zurück. 2:1 gewann der BVB im Jahr 2017 gegen die Frankfurter Eintracht. Der Trainer hieß Thomas Tuchel. Er musste ohne die Erfolgachse der Klopp-Jahre auskommen: Hummels ging nach München, Mchitarjan nach Manchester, Gündogan zu ManCity. Er machte großartige Spieler aus Dembele und Aubameyang. Im Halbfinale gewann Dortmund bei Bayern in München in einem ungemein spannenden Spiel 3:2. Das dürfte der letzte Sieg in einer laufenden Saison gegen die Bayern gewesen sein.

Tuchel war damals ein junger, schwieriger Trainer. Filigran und nervös. Ein Tüftler und Könner. Einer, der ein Konzept gegen jede Mannschaft ersann. Einer, der sich nicht reinreden ließ. Damit machte er sich angreifbar. Zumal bei Watzke, der von Klopp träumte, von Klopp redete und einen zweiten Klopp haben wollte: zum Biertrinken, Skatspielen, Plaudern. Das größte Manko Tuchels bestand darin, dass er nicht wie Klopp war – dass er nicht Klopp war.

Nach dem Pokalsieg 2017 entließ der Geschäftsführer Watzke den Trainer Tuchel. Er sagte, es musste sein. Er sagte, die Mannschaft wollte es so. Er sagte, auf das Wort Tuchels könne sich niemand verlassen. Er rede heute so und morgen so. Das bezog sich auf den Anschlag auf die Mannschaft, die Tags darauf ihr Champions-League-Spiel bestritt, war ihr nicht gut tat. Tuchel war erst dafür und erkannt dann, dass es ein Fehler gewesen war.

Ein Geschäftsführer begeht einen Fehler, wenn er einen erfolgreichen Trainer, dem er außergewöhnliche Eigenschaften zubilligt, in die Wüste schickt. Es rächt sich. Es hat sich gerächt.

Tuchel trainiert unter schwierigsten Umständen ein schwer zu trainierendes Team. Paris war im Sommer mit ihm im Endspiel der Champions League und ist in diesem Jahr auch wieder gut dabei. Wer sich in Paris mit den eigenwilligen Eigentümern vom Persischen Golf herumschlagen muss und mit Primadonnen wie Mbappé und Neymar klar kommt, wer es versteht immer auf der Rasierklinge zu reiten, kann nicht so fürchterlich schlechter Charakter gewesen sein, wozu sie in Dortmund erklärt haben. Ist Guardiola nicht schwierig? Oder Mourinho? Das ist ist Trainer-Elite, in der Tuchel anzusiedeln ist.

Bosz macht einen guten Job in Leverkusen. Stöger macht einen guten Job bei Austria Vien. Und Tuchel? Schon möglich, dass er nicht mehr lange in Paris bleibt. Die nächste Station könnte Real Madrid oder CF Barçelona sein.

Kleiner Unterschied, oder? Und wen holt jetzt der BVB?

Was wäre die Alternative?

Ich gehöre nicht zu den umsichtigen Menschen, die schon alle Geschenke beisammen haben. Ich werde Mühe haben, für jeden etwas bis Dienstag zu bekommen, bevor das Land in Starre verfällt. An Weihnachten sitzen wir sonst immer in großer Runde zusammen. Diesmal bleiben wir zu dritt, Eltern und Tochter, und wir werden uns komisch fühlen. Dann Silvester: ohne Böller ist der Jahreswechsel langweilig, na klar.

Ist aber eben so. Muss so sein, wenn sich Menschen massenweise Tag für Tag neu infizieren, wenn Tag für Tag 400 bis 500 Menschen sterben. Demokratien müssen dann Humanität beweisen und versuchen, diese üble Pandemie mit äußersten Mitteln einzudämmen. Wenn es mit einem leichten Lockdown nicht geht, dann liegt die Verschärfung nahe, die seit heute morgen beschlossene Sache ist.

Natürlich sind die Folgen für unser Wirtschaftsleben und die Kultur fatal. Natürlich führen Stillstand und Ausschluss zu Spannungen in kleinen Wohnungen mit vielen Menschen einerseits und zur Vereinsamung von Alleinlebenden andererseits. Aber was wäre die Alternative? Mehr Gleichgültigkeit oder Zynismus?

Die Länder um uns herum sind da ohnehin weiter. Österreich oder Frankreich fingen früher mit durchgreifenden Maßnahmen an, ohne dass die zweite Welle gebrochen wäre. Die Schweiz dagegen bleibt stur, obwohl die Zahlen dort auch steigen. Der im Weißen Haus verbarrikadierte Präsident schert sich nicht um die monströse Zahl an Infizierten und Toten, weil er sich immer und ewig nur um sich selber schert und preist sich jetzt dafür, dass der Impfstoff da ist. Absurder Sonderfall.

In Deutschland ist es für einen Nachruf zu früh, schon wahr, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir unsere Bundeskanzlerin ziemlich bald vermissen werden, sobald sie uns mit den 16 Zwergen aus den Bergen alleine lässt. In den letzten Wochen und Monaten hat sie mehr Klarsicht und größere Urteilskraft als jeder von ihnen bewiesen. Wäre es nach ihr gegangen, wäre der Lockdown Ende Oktober weniger leicht ausgefallen und müsste jetzt nicht ausgerechnet zur Weihnachtszeit verschärft werden.

Ging es aber nicht. Die Ministerpräsidenten wussten es besser, wollten das eine nicht und das andere gleich gar nicht. Sie wollten sich voneinander unterscheiden und die Pandemie nach eigenem Gusto handhaben. So kam dieses seltsame Hin und Her der letzten Wochen zustande, das die Bürger eher ratlos macht und so das Vertrauen in die Regierung schmälert.

Bei den Rückblicken auf dieses Virus-Jahr dürfte die Debatte im Bundestag der vorigen Woche nicht fehlen, als die Kanzlerin gegen ihre Gewohnheit zeigte, wie ihr zumute ist. Sätze wie diese graben sich ins Gedächtnis ein: „Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben!“ Als sie sagte, dass die Pandemie in die entscheidende Phase eingetreten sei, rief Beatrix von Storch dazwischen, dass sei ja alles nicht bewiesen. Da reagierte die Kanzlerin angenehm grundsätzlich. „Wissen Sie, das ist der Unterschied. Ich glaube an die Kraft der Aufklärung.“ Sie fuhr fort, „dass man die Schwerkraft nicht außer Kraft setzen kann, die Lichtgeschwindigkeit und auch andere Fakten nicht.“

Gut gebrüllt. Hätte sie öfter machen sollen, das Visier mal herunter zu klappen.

Auch unter meinen Bekannten gibt es Merkel-Verächter, die sie für einen Irrtum von Anfang an halten: Alles falsch gemacht, 16 Jahre lang, eine einzige Katastrophe. Sie schreiben es auch in ihren Kommentaren zur Lage der Nation und zwischendurch habe ich gedacht: Dahinter steckt ein Geschäftsmodell und nicht unbedingt Überzeugung. Inzwischen weiß ich, dass sie es so meinen.

Sei es wie es sei. Mir bleibt in Erinnerung, was Alice Weidel von der AfD dazu anmerkte: Sie faselte von der „Trickkiste der autoritären Herrschaft“, die Bürger einsperre und obendrein „Klimaschutzhysterie“ betreibe. Zur Abrundung sagte sie im Orgelton der Niedertracht:. „Kommen Sie raus aus Ihrem geistigen Wandlitz!“

Diese fortgeschrittene Ignoranz ist jedenfalls keine Alternative zur Regierungspolitik. Deutsche Trumps.

Markus Söder hat mal gesagt, jeder Politiker müsse sich am Umgang mit Covid-19 messen lassen. Klingt gut, könnte auch richtig sein. Gilt auch für ihn. Bayern hat nicht die größten Fallzahlen, aber die meisten Toten zu verzeichnen: 4848 bis letzten Freitag.

Der bayerische Ministerpräsident hat gerade zugegeben, dass der leichte Lockdown seit Ende Oktober ein Irrtum war. Immerhin. Über ihn lässt sich leicht sagen, dass er das Markige liebt und den großen Auftritt sucht. Stimmt schon, ist aber nicht alles. Ihm nimmt das Publikum eben auch das rastlose Bemühen ab, der Herausforderung gerecht zu werden. Die Merksätze bei der Pressekonferenz heute kamen von ihm: Bergamo sei nachher, als manche glaubten. Ganz oder gar nicht sei, das sei die Alternative.

Nordrhein-Westfalen hat die meisten Infizierten, kein Wunder, ist ja auch das größte Bundesland: 314 937. Womit wir bei Armin Laschet wären. Was seine Partei von seinem Krisenmanagement hält, wird sie ihm im  Januar mitteilen. Dann wählt sie den neuen Vorsitzenden, der zumindest ein Zugriffsrecht auf die Kanzlerschaft besitzt. Die Kenner des CDU-Innenlebens sehen momentan Friedrich Merz vorn. Soll das etwa eine gute Nachricht sein? Und für wen? Wie gut, dass wir noch eine Weile diese Kanzlerin haben.

Die Pandemie macht mit uns, was sie will. Wie lange noch? Weiß keiner. Am 10. Dezember ziehen wir erneut Bilanz.

Von jetzt an gilt noch mehr als zuvor das Prinzip Hoffnung. Von jetzt an werden wir in zwei Welten leben. In der einen Welt erschrecken wir über die Rekorde an Toten und Infizierten und hoffen darauf, dass der Lockdown die zweite Welle brechen kann. In der anderen Welt stellen wir uns bald schon in den Impfzentren an, um uns gegen das Virus impfen zu lassen.

Viel Glück! Und: bleiben Sie vom Virus verschont!

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.

Was Corona für Celan bedeutete

In den vergangenen Tagen habe ich immer mal wieder in einem Gedichtband geblättert. Ich mag Gedichte. Einige habe ich in einer Phase meines Lebens auswendig gelernt, als ich dachte, ich bräuchte etwas für mich allein, ohne die permanente Ausrichtung auf den Zweck, der damals übermächtig war. Also habe ich nach dem Zufallsprinzip angefangen. Die Bürgschaft übte ungemein, weil sie so lange ist. Rilke wegen der Denkgedichte. Benn und Brecht, Goethe sowieso, natürlich Kästner, Morgenstern etc.

Lange habe ich keines mehr gelernt und das schmerzte mich plötzlich, als ich diese Zeilen las:

Aus der Hand frisst der Herbst mir das Blatt; wir sind Freunde. / Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie geh’n: /Die Zeit kehrt zurück in die Schale. / Im Spiegel ist Sonntag, / im Traum wird geschlafen, / der Mund redet wahr.

Kenner werden längst wissen, dass wir Celan vor uns haben. Weiter geht es so:

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten: / wir sehen uns an, / wir sagen uns Dunkles, / wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis, / wir schlafen wie Wein in den Muscheln, wie das Meer im Blutstrahl des Mondes. / Wir stehen umschlungen im Fenster, / sie sehen uns zu von der Straße: / es ist Zeit, dass man weiß! / Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt, dass der Unrast ein Herz schlägt. / Es ist Zeit, dass es Zeit wird. / Es ist Zeit.

Das Gedicht gehört in den Zyklus „Mohn und Gedächtnis“ und erschien im Jahr 1952. Die Interpretation überlasse ich anderen. Mich verblüffte der Titel: Corona. In der „Welt“ schrieb Hans-Christian Buch im Frühling dieses Jahres darüber und zitierte aus Petris Fremdwörterbuch von 1889, was unter Corona zu lesen steht: Krone, Kranz, Tonsur, Mannschaft, Sippschaft, syphilitischer Ausschlag. Er schreibt dazu: „Keine dieser Bedeutungen passt zu Celans Gedicht, wohl aber der Hinweis auf die von Perseus verlassene Ariadne, die ihm mit ihrem Wollknäuel zur Flucht aus dem Labyrinth verhalf. Der Weingott Dionysos verliebte sich in Ariadne und versetzte sie nach ihrem Tod an den Nachthimmel, ins Sternbild der Corona.“

Wie tröstlich, dass Corona ein Sternbild ist, von Celan in ein Gedicht verwandelt.

Kleiner Nachtrag zu Löw

Gestern trat Herr Löw vor die Kameras und wirkte genau so, wie man es sich denken kann: Viel Ich und wenig Mannschaft. Viel DFB und wenig Trainer. Viel Denkmal und wenig Ausblick. Ich verdiene Vertrauen, lautete seine Behauptung. Verdient er nicht. Hat er verloren. Er hat sich verloren.

Geschichte schreiben, ohne Worte

Der Tag begann damit, dass die deutsche Delegation einen Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten niederlegte, um Polens Freiheitskämpfer zu ehren. Guter Brauch bei so ziemlich jedem Staatsbesuch, zumal in einem Land, das unter Hitler-Deutschland beispiellos gelitten hatte. Dann zog der Tross weiter zum Mahnmal, das für die Aufständischen im Warschauer Ghetto errichtet worden war. Ein Historiker erzählte dem deutschen Bundeskanzler, wie die im Ghetto Eingepferchten lieber hier sterben wollten, als zum Ermorden in eines der Vernichtungslager deportiert zu werden. Von den Deutschen, von wem sonst.

Hat Willy Brandt zugehört? Allenfalls flüchtig. Was zog ihm durchs Gemüt, dem deutschen Emigranten, vor Hitler geflohen? Wie sollten wir das wissen. Dann geschah dieses Unerwartete, Ungeheuerliche.

Hinterher sagte Willy Brandt, nein, er habe sich die Geste nicht ausgedacht, nicht vorbereitet, nicht geplant. Aber er habe das Empfinden gehabt, dass hier, an diesem Ort mit dieser Schreckensgeschichte, Worte nicht genügten. Von diesem Empfinden ließ er sich tragen und sank auf die Knie. Verharrte etliche Sekunden, die offenbar niemand zählte. Blickte geradeaus und erhob sich sachte wieder.

Willy Brands konnte dieses steinerne Gesicht aufsetzen. Er wirkte dann ganz in sich gekehrt. Weltabgewandt. Als nähme er die ihn Umgebenden gar nicht wahr. Vermutlich suchte er Zuflucht in diesem Selbstrückzug, wenn er innerlich bewegt war, aufgewühlt. Mit diesem Gesicht drehte er sich um und ging an diesen vielen Regierungspolen und Regierungsdeutschen vorbei, an den Kriegsveteranen, Historikern und Journalisten, die eine Gasse bildeten, im Wissen, dass sie dabei waren, als ein Mann Geschichte ohne Worte schrieb.

An diesem Montag ist der Kniefall genau 50 Jahre her. 50 Jahre sind eine weite Zeitspanne und die Welt war damals eine völlig andere. Deutschland geteilt. Die Welt geteilt. Das Ende des Zweiten Weltkrieges erst 25 Jahre her. Willy Brandt war seit einem Jahr Bundeskanzler und seine sozial-liberale Regierung suchte Versöhnung mit den Ländern, die unter Hitler-Deutschland am meisten gelitten hatte: voran die Sowjetunion, dann Polen, dann die Tschechoslowakei. Versöhnung geschieht politisch mit Verträgen. Mit Buchstaben und Worten.

Zur Versöhnung gehörte die Anerkennung der Wirklichkeit. Anerkennung bedeutete Verzicht auf 102 958 Quadratkilometer Landes, das zu Deutschland gehört hatte: Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Danzig, Stettin, Breslau, die Hälfte des alten Preußen. Der Verzicht zerriss Deutschland. 

Verzicht ist Verrat, schmähten Konservative aller Schattierungen. Formal existierte dieses Nachkriegsdeutschland in den Grenzen von 1937. Aber wie sollten die Deutschen das Verlorene zurückholen? Durch Krieg? Durch Drohungen? Durch Wortgeklingel? Das Gleiche galt für das andere Deutschland, die DDR, mit der Brandt auch einen Vertrag schließen wollte.

Die Welt dort draußen pries Deutschland für diesen Kanzler und ehrte ihn mit dem Friedensnobelpreis. In der Welt dort drinnen konnte sich Brandt nicht einmal sicher sein, dass er eine Mehrheit für die Ostverträge im Bundestag bekommen würde. Die SPD verließen einige Abgeordnete aus Protest gegen die Entspannungspolitik. Die Regierungsmehrheit schmolz und ging verloren.

Das Land war gespalten, die Zeitungen nahmen Partei, im Bundestag fanden Debatten voller Leidenschaft statt, durchdrungen von infamen Unterstellungen. Dazu die vielen Demonstrationen auf den Straßen für und gegen Brandt. Ein Land in Aufruhr und unerträglicher Spannung.

Am 24. April 1972 stellte die CDU/CSU im Bundestag den Antrag auf ein konstruktives Misstrauensvotum: Abwahl Brandts, Neuwahl eines Nachfolgers aus den Reiher der Opposition. Ein unerhörter Vorgang. Demokratie in höchster Erregung.

Wir waren jung, wir gingen auf die Straße. Wir hingen am Fernsehapparat. Wir dachten: Es ist vorbei. Sie kriegen ihn klein. Die anderen sind stärker. Er kommt zu früh, er will zu viel. Er war unser Willy.

Das Misstrauensvotum scheiterte. Dafür sorgten Intrigen. Absprachen. Dafür sorgten Bestechung und Betrug. Später kam heraus, dass zwei CDU/CSU-Abgeordnete materielle Gründe fanden, gegen den Antrag ihrer Fraktion zu stimmen – für Geld von der Stasi in Ost-Berlin. So stimmten nur 247 Abgeordnete für die Abwahl des Kanzlers, zwei zu wenig, denn 249 wären nötig gewesen.

Das Richtige war ohne Falsches nicht zu haben. Was wäre gewesen, wenn Rainer Barzel, der heute vergessen ist, Willy Brandt abgelöst hätte? Die Geschichte wäre anders verlaufen, so viel ist klar. Die Verträge wären nicht zustande gekommen. Die Entspannungspolitik wäre Makulatur gewesen. Der Kniefall wäre folgenlos geblieben. Besonders populär war er im Dezember 1970 ohnehin nicht. In einer Umfrage fand der „Spiegel“ heraus, dass nur 41 Prozent der Deutschen ihn für angemessen, aber 48 Prozent für übertrieben hielten.

Die Umstände sind im Laufe der 50 Jahre nebensächlich geworden, so ist das eben. Geblieben ist diese spontane Geste, dieses Niedersinken auf die Knie, eine eigentlich religiöse Handlung, die sich ein Agnostiker einfallen ließ, der mit der Hitlerei nichts zu tun gehabt hatte, der selber vor den Nazis fliehen musste, und der auf sich nahm, wofür er keine Verantwortung trug.

So wurde am 7. Dezember 1970 aus Willy Brandt ein großer Deutscher und ein großer Kanzler.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.