Am Donnerstag also wird unser aller Kanzler im Weißen Haus vorstellig werden. Um diesen Termin ist er nicht zu beneiden. Man kann nur hoffen, dass seine Ratgeber im Kanzleramt viele Möglichkeiten durchspielen, die eintreten können.
Trump und sein Vize J.D. Vance finden Gefallen daran, tückisch sein, wie wir wissen. Volodymyr Selenskji fiel aus allen Wolken, als sie im Duo über ihn herfielen. Cyril Ramaphosa erwartete auch kein Video von gepeinigten Weißen in Südafrika sehen zu müssen, die aus dem Land flüchten. Dass Aufnahmen dabei waren, die aus dem Kongo stammten: Stört doch keine großen Geister.
Man muss sich warm anziehen, wenn man in das Drachennest eigeladen wird. Man kann sich auf vieles einstellen, man muss sogar das Unmögliche für möglich halten. Aber letztlich hängt es von Donald Trump ab, wie der Besucher behandelt wird, von seiner Laune, vom Pegelstand seiner Ressentiments.
Die jüngsten amerikanischen Einlassungen zu Deutschland lassen nichts Gutes erwarten. Ginge es nach Trumps Hofstaat, dann würde in Deutschland die AfD regieren, in Österreich die FPÖ, in Polen wieder die nationalkonservative Pis-Partei und in Frankreich Marine LePen Präsidentin sein. Und jeder von ihnen würde nachmachen, was Amerika vormacht. Lauter kleine Trumps.
In diesem Bild von der Welt fiele Europa zurück in die Kleinstaaterei und Brüssel wäre nicht länger die Hauptstadt einer Großmacht, die es nicht schafft, Großmacht zu sein. Soweit sollte es nicht kommen, oder?
Aus Sicht der Trumpisten erscheint in Gestalt von Friedrich Merz ein Deutschland, das auf Kosten der USA lebt, militärisch und ökonomisch. Auch die Nato beutet sein Land aus, weil sich die Mitgliedsstaaten nicht an ihre Verpflichtungen halten und erst unter Dauerfeuer Besserung geloben. Und überhaupt sind Bündnisse des Teufels, wenn die USA für andere einstehen soll. Alles schlechte Deals nach dem Willen und der Vorstellung des 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Disruption ist sein Lebenselixier, das wissen wir auch. Aber warum legt er die Axt an erprobte Bündnisse, die für Amerikas Interessen als Weltmacht viele Jahrzehnte vorteilhaft waren?
So harmonisch, wie es im Nachhinein erscheint, war das Verhältnis zischen Deutschland und Amerika nur selten. John F. Kennedy brauchte nach dem Mauerbau fast zwei Jahre für seinen berühmten Besuch in Berlin. Richard Nixon traute der deutschen Entspannungspolitik in den 1970er Jahren nicht über den Weg. Und als Ronald Reagan, wieder in Berlin, im Jahr 1987 seinen prophetischen Satz in Richtung Michail Gorbatschow sagte: „Reißen Sie die Mauer nieder,“, da war die Regierung Kohl/Genscher nicht sonderlich amüsiert. Damals befand sie sich noch im Status quo der Beschwichtigung.
Barack Obama liebten die Deutschen; er war der letzte Präsident, dem echte Zuneigung widerfuhr. Und Donald Trump spricht nun brutal und vulgär aus, was sich in Washington halblaut über die Jahre an Kritik an Nato und Europäischer Union aufgebaut hatte.
Es fällt natürlich leicht, den Temperatursturz ausschließlich auf Trump zu schieben. Aber man kann die Dinge auch historisch einordnen.
Vielleicht kommen Historiker dereinst zu dem Ergebnis, dass die große Disruption im Jahr 2025 auf 1989 zurückzuführen ist. Damals wie heute brach eine Weltordnung zusammen. Damals wie heute wurde eine Supermacht degradiert. Denn der Blick auf die Welt, wie sie im Weißen Haus üblich ist, sieht überall nur Verfall. Im eigenen Land sowieso, wobei die Errichtung neuer Zollmauern zur Regeneration beitragen soll. In der Welt auch, da die Globalisierung die USA benachteiligt, so sehen sie es im Weißen Haus.
Natürlich ist die schwere Krise, in der Amerika steckt, mit dem Kollaps des Kommunismus nicht zu vergleichen. Es ist auch wahr, dass 1989 Amerika der große Sieger der Geschichte war und sich auch so fühlte. Wenig später aber leistete es sich zwei Kriege im Irak und in Afghanistan, die ihr endgültig den Zauber nahm, die Weltmacht zu sein, die Demokratie zum Heil der Menschheit verbreitet.
Im Windschatten schwang sich China zur neuen Weltmacht auf, zu einem wahren Konkurrenten, ökonomisch wie militärisch. Und das Trump-Amerika wütet nun gegen die alten Bündnisse, weil sie in der historischen Auseinandersetzung unnütz zu sein scheinen. „Trumps Schocktherapie ist ein Zeichen von Schwäche,“ schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“. Der Präsident sorgt für eine neue Weltunordnung, aber sein Irrlichtern deutet darauf hin, dass Amerika seinen Platz darin erst noch finden muss.
Unter diesen Umständen fällt es natürlich schwer, im Weißen Haus über gemeinsame Werte und gemeinsame Interessen zu reden. Versuchen kann es der Kanzler, muss ja sein, aber darin steckt ein Risiko. Vermutlich wird Friedrich Merz viele Fragen stellen, natürlich milde und vorsichtig, um den neuesten Stand der Dinge zu erfahren, zum Beispiel über Trumps Haltung zu Putin, die sich gleich darauf wieder ändern könnte, so ist das nun einmal.
Und vielleicht sollte Merz zur Entspannung gleich eine Einladung aussprechen – ins pfälzische Kallstadt, wo Trumps Ahn nach Amerika aufbrach. Damit es ihm nicht so ergeht wie Selenskji und Ramaphosa.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.