Vergiftetes Lob

Um mal mit etwas Positivem anzufangen: Weil er in meiner Heimatstadt Hof mit zwei Macheten etliche Soldaten der Bundeswehr niedermetzeln wollte, ist ein 27jähriger Syrer festgenommen worden. Der Hinweis kam „aus dessen Umfeld“, so heißt es.

Mit ein bisschen Wirklichkeitssinn lässt sich festhalten, dass es schon öfter gut gegangen ist, als sich im öffentliche Bewusstsein niederschlug. Meist sind es ausländische Geheimdienste, die einen Tip geben. Manchmal verdankt es sich der Aufmerksamkeit der Polizei, wenn ein Attentat verhindert wird. Oder aber, wie in Hof, fällt einem Bekanntem oder Landsmann auf, dass da jemand Menschen umbringen will.

Aber natürlich sind es die Anschläge von Solingen, Mannheim oder München, die fragen lassen, was schief läuft und wie man Nachahmer abhalten kann. Und vor allem muss und soll etwas geschehen, damit die AfD, die mit jedem Messer-Mord noch mehr aufblüht, nicht weiter davon profitieren kann.

Ab heute lässt die Bundesregierung sämtliche Landesgrenzen kontrollieren. Damit will sie, die „irreguläre Migration weiter zurückdrängen, Schleuser stoppen, Kriminellen das Handwerk legen, Islamisten erkennen und aufhalten“, wie Innenministerin Nancy Faeser ziemlich markig sagt. Viel verlangt sie auf einmal und nach aller Erfahrung zu viel. 

Die Falle besteht darin, dass die Innenministerin (wie auch CDU-Chef Friedrich Merz) Migration und Terrorismus nicht auseinanderhält. Für die Eindämmung des Terrorismus, den einzelne Migranten ausüben, wäre es zum Beispiel sinnvoll, endliche eine europäische Gefährder-Datei einzurichten. Den Migranten, die über Österreich oder Polen einreisen, kann ja kein Bundespolizist ansehen, ob sie sich hierzulande radikalisieren werden oder sogar dem Auftrag des IS folgen, so viele Menschen wie möglich umzubringen. Aber einschlägig Bekannte, die eine Datei erfasst hat, lassen sich abfangen.

Von heute an werden auch die Grenzen zu Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg kontrolliert. An den Übergängen zu Österreich, Tschechien, die Schweiz und Polen wird schon untersucht, wer da kommt. Das schöne Schengen-Abkommen, wonach freier Reiseverkehr in der Europäischen Union herrschen darf, ist für sechs Monate außer kraft gesetzt.

Das Echo klingt nicht amüsiert. Polen legt Protest ein, Griechenland auch. Österreich will sich weigern, abgewiesene Migranten zurückzunehmen, auch wenn sie dort registriert worden waren. In Österreich ist in zwei Wochen Wahl, die FPÖ liegt bei 30 Prozent und ruft Ungarn als leuchtendes Beispiel aus. Denn Ungarn registriert Asylbewerber nicht, sondern weist sie entweder ab oder schickt sie einfach durch. Viktor Orbán, der Ministerpräsident, schickte übrigens ein vergiftetes Lob nach Berlin: „Jetzt ist Deutschland aufgewacht.“

Auch Friedrich Merz schwebt das ungarische Beispiel vor, auch wenn er sich nicht darauf beruft. Er verlangt ja nach blanker Zurückweisung von Migranten an der Grenze, womit dann auch Deutschland gegen das Dublin-Abkommen verstieße, das zur Aufnahme von Asylbewerbern verpflichtet. Die auch nicht mehr zimperliche Bundesregierung ist dagegen, weil sie sich ungern vom Europäischen Gerichtshof verurteilen ließe oder finanzielle Strafen verhängt sähe. Ungarn übrigens ist mit 200 Millionen Euro wegen seiner systematischen Zurückweisung sanktioniert worden.

Der große Irrtum des Kampfes gegen irreguläre Migration besteht aber darin, dass er sich innerhalb der EU gewinnen lässt. Wenn sie aber erst einmal in Italien, Griechenland oder Polen angekommen sind, fragt sich nur noch, welches Land sie aufnehmen muss. Nach der Dublin-Vereinbarung liegt die Verantwortung bei dem Land, in dem sie eintreffen. Aber weder Italien noch Polen oder Österreich oder Griechenland hindern Geflüchtete daran, weiter nach Deutschland zu ziehen. 300 000 waren es im Jahr 2023.

Deutschland wiederum wollte im vergangenen Jahr rund 75 000 Migranten in ihr europäisches Erstland zurückschicken. Nur 5 000 bekam sie los. Den übergroßen Rest wollte kein anderes Land zurück haben. In Wahrheit ist das Dublin-Abkommen tot.

Jedes europäische Land treibt nationale Migrations-Politik. Jedes Land achtet darauf, dass es möglichst stabil bleibt. Deshalb ist Migrations-Politik in Wirklichkeit Anti-Migrations-Politik. Dänemark macht keinen Hehl daraus, dass ihm Abschreckung vorgeht. Die Niederlande sind dabei, dem Beispiel zu folgen. Österreich dürfte es auch so halten, sobald die FPÖ die Wahl gewinnt.

Wenn Deutschland wirklich will, dass die Zahl der Migranten dramatisch sinkt, dann sollte die Bundesregierung zugeben, dass diese Demokratie nicht mehr so liberal ausfallen kann wie bisher. Sie könnte mit Fug und Recht argumentieren, dass Stabilität unter den Umständen wichtiger ist. Und sie müsste in Brüssel dafür sorgen, dass nicht jeder seins macht, sondern die europäischen Außengrenzen geschlossen werden, anstatt der nationalen. 

Das deutsche Abkommen mit der Türkei ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Außerdem gibt es Migrations-Vereinbarungen mit Mauretanien und Ägypten, Marokko und Sudan. Das sind amoralische Deals, was denn sonst.

Deutschland war bislang, kraft seiner Geschichte, weniger dazu geneigt, entschieden restriktive Migrations-Politik zu betreiben. Diese Haltung ändert sich gerade. Die interimistische Schließung der Grenzen ist, so gesehen, sogar ein großer Schritt. Doch eine effektive Politik im Umgang mit diesem wahrlich komplexen Problem sieht anders aus. In Europa muss die Bundesregierung für  kollektives Handeln eintreten.

Der Gradmesser für die politische Wirksamkeit der neuen Maßnahmen ist die Wahl in Brandenburg am kommenden Sonntag. Brandenburg gehört der SPD – bisher. Liegt die AfD diesmal vorne, wäre das die nächste Abrissbirne für die SPD und ihren Kanzler.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.