Der AfD näher als der CDU

Zwei Länder haben gewählt und die Bühne wackelt dermaßen, dass man den Drehschwindel bekommen könnte. Wie bitte geht’s hier weiter?

Die Rasanz, mit der plötzlich der BSW in den Kreis der Ehrbaren aufgenommen wird, ist verblüffend. Die Ernüchterung dürfte auf dem Fuß folgen. Sahra Wagenknecht besitzt die destruktive Kraft einer großen Egoistin mit hochfliegenden Ideen. Nimmt man ernst, was sie gestern Abend sagte, stehen demnächst im Koalitionsvertrag mit der CDU Sätze, wonach Deutschland weder Waffen an die Ukraine liefern soll noch amerikanische Mittelstreckenraketen aufstellen darf und ansonsten die Grenzen gegen Einwanderer schließen muss. Wo bleibt Gaza, wo der Weltfrieden?

Der BSW liegt näher zur AfD als zur CDU. Er ist die rechte Partei linker Leute, die sich immer noch für links halten. Salon-Bolschewismus plus Fremdenfeindlichkeit. Im übrigen versteht sich    Sahra Wagenknecht recht gut mit Alice Weidel, die öffentlich wesentlich geschmeidiger auftritt als Björn Höcke, der gestern eine persönliche Transformation von der beleidigten Leberwurst zum Verteidiger der parlamentarischen Demokratie durchlebte. Hat ihm nicht geholfen. Im Grunde ist er eine Belastung für die AfD, weil ihn sein Nimbus als Faschist politisch isoliert.

Die deutsche Demokratie verändert sich gerade. Sie büßt ihren Richtungssinn ein. Das politische System tritt in ein neues Stadium ein, das Italien, Österreich, Frankreich und vor allem die USA schon erreicht haben. Gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft hat es das Liberale, das die deutsche Nachkriegsdemokratie auszeichnet, ziemlich schwer.

Dabei handelt es sich weniger um einen historischen Paradigmenwechsel als um die Überschichtung gravierender Probleme, die nach Lösungen verlangen. Ökologie tritt in den Hintergrund, ohne seine Dringlichkeit zu verlieren. Der Ausbau des Sozialstaats, Stichwort Bürgergeld, ist weit gediehen. Wichtiger erscheint es den Deutschen, den Kontrollverlust wettzumachen, der 2015 eintrat und durch den Vertrauensverlust der amtierenden Ampel verschärft wird.

Politisch gesehen, scheint eine Gründerzeit angebrochen zu sein. Wenn seltsame Gebilde wie das BSW aus dem Boden schießen können, sollten sich bald schon Nachahmer finden. Warum nicht aus der FDP eine rechte Partei wie die FPÖ in Österreich oder die SVP in der Schweiz zimmern? Den Versuch gab es vor langer Zeit, als Jürgen Möllemann (erinnert sich noch jemand an den?) umtriebig war.

Auf die CDU kommt es jetzt an. Wenn es einigermaßen gut läuft wie in Sachsen, liegt sie über 30 Prozent. 30 Prozent sind die neue Schallmauer. In Thüringen wird es noch schwieriger, eine Koalition zu bilden, die Stabilität wenigstens als Illusion verspricht. Hier CDU plus SPD plus BSW – dort CDU, BSW plus Linke: Darauf soll Segen liegen?

Auf Friedrich Merz kommt Kniffliges zu. Die CDU hat ja ein Faible für Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Ein Bannfluch traf zum Beispiel die Linke. Was aber tun in Thüringen? Eine Minderheitsregierung, toleriert von AfD, SPD und Linke? Oder der Not gehorchend, Abrücken vom Beschluss? Und gibt es nicht auch genügend CDU-Mitglieder in Thüringen, die – Brandmauer hin oder – mit der AfD zumindest kooperieren wollen, wenn nicht koalieren?

In Thüringen ist die AfD ohnehin eine Macht, besitzt sie doch eine Sperrminorität. Ohne sie wird kein Verfassungsrichter, kein Präsident des Rechnungshofes gewählt werden. Im Parlament fällt ihr als stärkste Fraktion eigentlich der Anspruch zu, den Präsidenten zu stellen. Wie verhält sich dann die CDU? Verwehren können die anderen Parteien ihr außerdem nicht, mehrere Ausschussvorsitzende zu benennen.

Die Geschäftsordnung in demokratischen Institutionen ist ein feiner Machthebel. Als parlamentarische Kraft lässt sich die AfD zumindest in Thüringen nicht mehr ausgrenzen. Sie dringt ins Innere des Systems vor, das sie auf Rechts drehen möchte.

Für Ostdeutschland ist die AfD in Nachfolge der Linken zur Kümmererpartei aufgestiegen. Ihre Mitglieder und Sympathisanten sind im vorpolitischen Raum verwurzelt, gehören der Freiwilligen Feuerwehr, dem Schützen- oder Kulturverein an. Die AfD-Strategen haben die Devise ausgegeben, in die Handwerkskammer einzutreten und die Chance als Laienrichter zu nutzen. Wenn sich eine Partei derart weitgehend einnisten kann, bleibt sie ihrem Bundesland auch erhalten.

Exemplarische Wahlen haben exemplarische Folgen. Ab heute dreht sich in Berlin alles um den richtigen Umgang mit Flüchtenden. Was sich die Ampel im Geschwindeschritt einfallen ließ, wird sowohl von Innen wie Außen zerredet werden. Dafür sorgt schon Markus Söder, der das individuelle Recht auf Asyl abschaffen will.

Wie immer beim bayerischen Ministerpräsidenten verknüpft er die Sache furios mit seinen Ambitionen. Findet er dabei Gefolgschaft in der CDU, kann er Friedrich Merz die Kanzlerschaft noch streitig machen, die ihm eigentlich nicht mehr zu nehmen ist. Momentan ist Söder daran gelegen, die Entscheidung, die noch vor der Brandenburg-Wahl gefällt werden soll, hinaus zu zögern.

Der Bundeskanzler nennt die beiden ostdeutschen Wahlen „bitter“. Wo er recht hat, hat er recht. Wiederhold sich die Bitterkeit in Brandenburg, wo Olaf Scholz als Wahlkämpfer unerwünscht ist, gibt es mehrere Möglichkeiten: Neuwahlen (nicht einfach) oder Kanzlerwechsel oder weiter so bis zum bitteren Ende.

Dann doch lieber Kanzlerwechsel, oder?

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.