Bismarck und die Manichäer

Momentan beschäftige ich mich antiker Philosophie und deren Fortleben im Christentum. Philosophie habe ich nicht studiert, aber damals nebenbei Platon und Aristoteles und die Stoa und Augustinus gelesen. Diesmal ist mir an Augustinus etwas aufgefallen, was mich länger schon beschäftigt.

Augustinus war bis in seine dreißiger Jahre irdischem Leben zugetan. Mit 18 Vater. Viel gereist, viel studiert. Die Bibel langweilte ihn. Er war den Manichäern zugetan, die in Gegensätzen dachten: hell-dunkel, Tag-Nacht, Gut-Böse, Geist-Fleisch usw. Harte Schnitte, starke Entgegensetzungen gehörten bei den Anhängern Manis, der seine Lehre im persischen Reich mit Genehmigung des Sassanidenkönigs verbreiten durfte, zu den Eigenheiten. Erlösung stand den Gläubigen in der Erkenntnis des Dualismus offen. Natürlich besaß die geistige Existenz den Primat. Askese diente der Reinheit, die Voraussetzung für die Erlösung war.

Augustinus hatte dann sein Erweckungserlebnis, änderte sein Leben und wurde fortan zum demütig gläubigen Christenmenschen, der mit seinen Schriften prägend wirkte. Geblieben ist ihm jedoch das Denken in Gegensätzen, das nur zu oft polemisch ausfällt. Der Manichäismus fand Eingang in sein Verständnis von Gott und Mensch, von Irdischem und Jenseitigen, von Menschenstaat und Gottesstaat.

Das ist auch kein Wunder, denn wie wir nun einmal gelernt haben zu denken, so denken wir eben weiterhin, wenn sich auch die Überzeugungen wandeln. Die Gegenstände mögen sich ändern, aber unsere intellektuelle Annäherung bleibt gleich.

Alexander Gauland hat früher kluge Bücher über den britischen Konservatismus geschrieben und dessen Anpassungsfähigkeit an geschichtlichen Wandel bewundert. Die Grenze hat ihn interessiert, der Punkt, an dem Adaption in Überzeugungslosigkeit umschlägt, die rote Linie, die nicht überschritten werden sollte. Wahrscheinlich hätte er nie gedacht, dass er jemals in die Lage versetzt werden würde, die Grenzüberschreitung an der Merkel-CDU tiefenscharf zu kritisieren und selber eine Partei zu gründen, die jenseits des herkömmlichen Konservatismus angesiedelt ist. Auch die Vorliebe für Bismarcks sicherem Spiel mit vielen Bällen hat sich nicht erschöpft.

Er ist kein Nazi, er ist eher ein Nationalliberaler, ein Bewunderer der Machtpolitik, der Realpolitik, wie sie eben Bismarck im 19. Jahrhundert praktizierte. Übertragen auf die Gegenwart bedeutet diese Haltung Rücksicht auf Russland, Distanz zu Amerika und Fortleben der Nationalstaaten auf Kosten transnationaler Bündnisse wie die Europäische Union oder auch die Nato. Konsequenz daraus sind Atomwaffen für Deutschland. Ginge es nach ihm, wäre die AfD das Korrektiv zur CDU und deren natürlicher Koalitionspartner.

Das Denken hat sich im Falle Gauland nicht verändert. Er wendet es auf die veränderte Lage an. Darin liegt die innere Logik.

Das zweite Paradebeispiel für mich ist der Grüne Anton Hofreiter. In seiner Partei gehört er zu den Linken. Wenn er kritisiert, dann kritisiert er scharf. Wenn er etwas durchsetzen möchte, dann mit Verboten. Er gehört zu den Manichäern der Gegenwart.

Biologie hat er studiert. Er kennt sich mit der Landwirtschaft aus und wäre nur zu gerne Landwirtschaftsminister geworden. Er kennt sich in der Verkehrspolitik aus, aber dieses Ministerium fiel der FDP zu. So wurde aus ihm der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Deutschen Bundestag. Keine freie Wahl, ein Trostpflaster. Aber der Krieg Russlands gegen die Ukraine verwandelte ihn unversehens in einen Rüstungsspezialisten. Seitdem können für ihn gar nicht schnell genug so viele Panzer und anderes schweres Gerät wie irgend möglich an die Ukraine geliefert werden. Hofreiter sieht nur noch Zauderer und Zögerer in der Regierung, die das Nötige nicht rasch genug liefern. Niemand, nicht einmal Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hat den Bundeskanzler derart maßlos kritisiert wie der Biologe Anton Hofreiter. So ist das, wenn man den Clausewitz in sich entdeckt und grün interpretiert.

Im Denken bleiben sich die Menschen treu. Das Denken lässt sich nicht auf Knopfdruck neu ausrichten. Die Inbrunst, mit der Hofreiter eine Wende in der Agrar-/Verkehrspolitik gefordert hatte, veranlasst ihn jetzt dazu, Taurus-Flugkörper für die Ukraine einzufordern. Er selber sieht darin kein Problem, möchte ich wetten. Wo er ist, ist die Wende nahe, immer. Über die Konsequenzen aus seiner Hitzigkeit macht er sich keinen Kopf. Hofreiter ist auch ein Beispiel für Opposition in der Regierung.

Und ich? Ich war und bin ein Skeptiker. Skeptiker sind skeptisch in alle Richtungen, nach Rechts wie nach Links. Fundamentalismus ist uns ein Greuel. Skeptiker wie ich relativieren und differenzieren, stellen in den Zusammenhang und ordnen gerne ein. Wir sind Empiriker, weil wir genau hinschauen möchten. Ideologien nehmen wir gerne auseinander. Verstehen ist uns wichtiger als verändern. An Häutungen, an tiefgreifendes Verändern im Denken glauben wir nicht. Darin liegt unsere Stärke wie auch unsere Schwäche. Das st ein typischer Satz aus der Feder eines Skeptikers und deshalb höre ich jetzt auf.