Logik des Krieges, Logik des Friedens

In gewisser Hinsicht ergeht es dem Gaza-Krieg wie dem Krieg in der Ukraine: die höchste Erregungsschwelle liegt schon hinter uns. Die Medien berichten inzwischen mit einiger Routine von dort. Annalena Baerbock fiel nach intensiver Shuttle-Diplomatie zwischen Katar, Amman, Tel Aviv und Kairo in beredtes Schweigen über die israelische Kriegsführung.

Selbst in Deutschland wehen die Hamas-Fahnen nicht mehr so provokativ wie vor ein paar Wochen, und da die Talkmasterinnen allesamt im Weihnachtsurlaub weilen, bleiben die üblichen Verdächtigen aus Politik und Thinktanks der Öffentlichkeit fern. Nicht dass wir sie vermissen würden.

Die israelischen Streitkräfte hatten die Bewohner von Gaza-Nord aufgefordert, in den Süden zu fliehen. Inzwischen ist die Bodenoffensive im Süden in vollem Gange. Militärisch ist sie schwierig, weil dort kein Stein mehr auf dem anderen steht und das Tunnelsystem in etwa so ausgefeilt ist wie das Bergbaugebiet im Ruhrgebiet. Dazu die Menschenmassen, die nirgendwohin ausweichen können, und die Jagd auf die Hamas-Mandarinen erschweren. Von der humanitären Katastrophe zu schweigen, unter der die Menschen in Gaza leiden, weil Israel es so will. 

Meldungen, dass Yaya Sinwar, der militärische Anführer der Hamas, vielleicht schon tot sein könnte, erwiesen sich als voreilig. Gerade rühmte er sich, dass jede Menge israelischer Soldaten getötet worden sind und er gar nicht daran denke, die kriegerischen Handlungen einzustellen. Nichts anderes erwartet man von ihm.

Interessant ist der Gegensatz zwischen der militärischen Führung der Hamas und der politischen, die trocken in Katar lebt. Ismail Haniya, die politische Nummer 1, reiste vom Golf nach Kairo und dachte mit ägyptischen Unterhändlern über ein Ende des Krieges nach. Momentan muten solche Überlegungen eher illusionär an, hoffnungslos unterlegen der Logik des Krieges. Aber was wäre die Alternative

Immerhin ist nach etlichen Tagen ein Plan mit drei Punkten herausgekommen. Tritt eine Feuerpause ein, sollen zunächst weitere 40 Geiseln freikommen und, nach dem üblichen Verhältnis 1:3, 120 palästinensische Häftlinge israelische Gefängnissen verlassen dürfen. Für die zweite Etappe denken die Vermittler in Kairo weit voraus. Nach einem Waffenstillstand soll eine Technokraten-Regierung aus Hamas und Fatah (die in Ramallah als Palästinensische Autonomiebehörde residiert) Gaza übernehmen und die Gelder aus Europa und dem Golf sinnvoll investieren, anstatt Tunnel zu bauen und Raketen anzuschaffen. Ist die Regierung erst einmal institutionalisiert, soll sie im dritten Zug ein Abkommen mit Israel über die Freilassung sämtlicher verbliebenen Geiseln schließen. Ist das geschehen, sollen die israelischen Streitkräfte aus Gaza abziehen.

Für sich genommen klingt der Plan pragmatisch. Frieden soll den Krieg ablösen. Der Status quo ist weder in Israel noch im Gaza aufrechtzuerhalten. Also muss man darüber hinaus denken. Die Geiseln haben für die israelische Regierung nicht Priorität, die hat der Krieg. Aber ihre Befreiung ist ein unbedingter Akt der Humanität nach so vielen Wochen Leidens.

Utopisch ist der ägyptische Plan allerdings aus zwei Gründen. Er geht, erstens, davon aus, dass die Hamas gemeinsam mit der Fatah regieren will. Dafür müsste sie die Alleinherrschaft aufgeben und, zweitens, auch das Ziel, die Juden aus dem Nahen Osten zu vertreiben. Ironischerweise wird der utopische Charakter minimiert, wenn Israel zuvor die militärische Führung so entscheidend schwächt, dass sie sich auf Gemeinsamkeit mit der Fatah einlassen muss, um wenigstens noch eine reduzierte Rolle zu spielen.

Mit König Bibi, wie Bewunderer Netanjahu nennen, sind solche vertragsähnlichen Gebilde, die auf eine Zwei-Staaten-Lösung hinauslaufen, nicht zu vereinbaren. Seine Politik richtet sich an einem einzigen Staat aus, der durch den steten Siedlungsbau im Westjordanland schon einmal Fakten schafft. Dort dürfen messianische Siedler, unter dem Schutz der Armee, Palästinenser aus ihren Häusern vertreiben, malträtieren und auch umbringen. Der Holocaust-Forscher Saul Friedländer bezeichnet in seinem neuen Buch, das er „Blick in den Abgrund“ nennt, den Siedlungsbau „als Krebsgeschwür in der israelischen Politik und, mehr noch, in der israelischen Gesellschaft“.

Noch ist Benjamin Netanjahu Premierminister. Er will es bleiben und kann es auch, solange Krieg herrscht. Sein Plan besteht ebenfalls aus drei Schritten. Zuerst will er die Hamas vernichten. Nach dem Krieg soll Gaza entmilitarisiert werden. Und dann soll nach seinen Vorstellungen die gesamte palästinensische Gesellschaft endradikalisiert werden.

Was damit gemeint ist, bleibt imUnklaren. Sollen alle Waffen konfisziert werden? Herrscht weiterhin Kriegsrecht im Gaza?

Immerhin wird im Nahen Osten vorsichtig über Frieden nachgedacht. Darin liegt der Unterschied zum Krieg Russlands gegen die Ukraine, was ebenso traurig wie verständlich ist.

Veröffentlicht auf t-online.de, gestern.