Die Königin ist tot. Lasst uns trauern und eine Scheibe auflegen oder eine CD reinschieben und dann tobt sie noch einmal über die Bühne, wie sie immer über die Bühne getobt ist, bis in ihr siebtes Lebensjahrzehnt hinein. Diese Explosion an Energie, diese kraftvolle Stimme, die wirbelnden Beine, die fliegenden Haare. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib. Sie gab immer alles und dafür liebte ihr Publikum sie bedingungslos.
Die Texte ihrer Lieder waren reines Leben, hartes Leben. „Private Dancer“ erzählt von einer Frau, die für Geld für geile Männer tanzt, die alle gleich aussehen und keinen Namen haben – „du denkst an das Geld und du schaust die Wand an“, singt sie um Lakonik bemüht, aber eigentlich ist sie todtraurig. Auch „Proud Mary“ erzählt im Kern die Geschichte einer Frau, die miese Gelegenheitsjobs erledigt und erst die schönen Viertel der Stadt vom Fluss aus sieht, den sie im Dampfer herunterfährt.
Oder „Steamy Windows“: Angeschlagen sind die Fenster im Auto wegen der Körperhitze, die das Pärchen auf dem Rücksitz beim Sex erzeugt. Es ist, wie es ist, sie beschwert sich nicht. Der Mann, ihr Baby, hat kein Gesicht, keinen Namen. Nur seine Körperausdünstung ist erwähnenswert.
„Nice and easy“ ist in diesem Leben gar nichts, allenfalls „nice and rough“. Tina Turners Texte sind einem harten Leben abgerungen und natürlich singt sie Geschichten mit dem Erfahrungsschatz einer schwarzen Frau. 1939 ist sie in der Kleinstadt Brownsville geboren, im tiefsten Tennessee. Der Süden der Vereinigten Staaten vor 83 Jahren: Rassismus pur. Segregation in Schwarz und Weiß. Tina Turner war Mitte 20, als der Präsident, er hieß Lyndon B. Johnson, die Nationalgarde in den obstinaten Süden schickte, damit Frauen und Männer mit ihrer Hautfarbe in weiße Schulen gehen durften, im Bus nicht mehr hinten sitzen mussten usw.
Aus dieser bipolaren Welt rettete sie die Musik. Ein Mann namens Ike Turner hatte seit Jahren eine populäre Band und Anna Mae Bullock, das war Tinas Taufname, durfte zuerst Background singen und dann vorne am Mikrophon Leadsängerin sein. Aus zwei Autobiographien, die unter dem Namen Tina Turner erschienen, wissen wir zur Genüge über Ike Bescheid. Ein Schläger war er. Ein Tyrann.
Mit Ike & Tina Turner ist ein herrliches, bewegendes, aufwühlendes Lied untrennbar verbunden: River deep, mountain high. Die witzige Entstehungsgeschichte ist erzählenswert: Der Produzent Phil Specter, damals eine Größe in Los Angeles (und viele Jahre später als Mörder verurteilt) gab Ike 20 000 Doller, damit er dem Studio fern blieb. 5 Sitzungen brauchte es, 21 profilierte Studiomusiker machten mit, 21 Background-Sängerinnen halfen. Außerdem sprangen im Studio Dennis Hopper und Mick Jagger herum. Es wurde gemischt und gesampelt, bis einer der größten Songs der jüngeren Musikgeschichte auf Platte gepresst war.
Von da an ging es musikalisch bergauf mit Ike & Tina Turner. Sie wurden als Vorgruppe der Rolling Stones gebucht. Sie kamen in die Charts. Sie hatten Erfolg. Aber Tina war zu unglücklich, um den Triumph zu genießen. So unglücklich, dass sie 1976 die Steuerschulden des Gatten übernahm und sich scheiden ließ.
Nun war sie frei, 37 Jahre alt, hatte mehrere Kinder und musste wieder von ganz unten anfangen. Sie spielte vor wenigen Leuten in kleinen Klitschen. Ihre Alben verkauften sich schlecht. Andere wären daran zerbrochen. Frauen hatten es im Geschäft, das Männer beherrschten, ohnehin verdammt schwer. Tina Turner gab aber nicht auf. Und sie traf auf den Manager Roger Davies, der ihr Talent erkannte und aus ihr den umwerfenden Bühnenstar machte, die Königin unserer Seelen.
Erst einmal verschaffte ihr Davies Gastauftritte bei Tom Jones, Rod Stewart, David Bowie. Dann stand sie endlich auf ihrer eigenen Bühne. Knapp zehn Jahre hatte sie von unten nach ganz oben gebraucht. „What’s love got to do with it?“, singt sie jetzt, das Liebeslied einer Frau, die aus Erfahrung vorsichtig ist, denn „who needs a heart, when a heart can be broken“. Der Ton ist neu, die Geschichte ist anders, die Frau, von der Tina singt, denkt über die Liebe nach. Das Lied hat jetzt eine Metaebene. Tina Turner ist nun, eine Frau in ihren Vierzigern, auf dem Höhepunkt ihres Könnens.
Sie geht auf Touren. Füllt große Häuser, große Arenen. Sie geht ins Guiness’ Buch der Rekorde ein, als sie das Maracaña-Stadion in Rio mit 188 000 Zuschauern füllt. Fans hat sie weltweit. Ihre Platten und CD verkaufen sich. Sie trifft einen Mann, Erwin Bach aus Köln, Musikmanager ihrer Plattenfirma, 16 Jahre jünger, aber was soll’s. In einer buddhistischen Zeremonie heiraten die beiden. Ein Musical über ihr Leben kommt heraus, von ihr autorisiert.
Sie lebt in der Schweiz, sie wird sogar Schweizerin. Aber die Krankheiten nehmen zu. Kurz nach der Hochzeit hat sie einen Schlaganfall. Sie ist nierenkrank; Erwin Bach lässt ihr seine Niere implantieren. An Auftritte ist nicht mehr zu denken.
Heute Abend ist sie gestorben. Wir denken an sie. An das Bühnengewitter! Die Alterslosigkeit! Ihre Stimme! An dieses Leben, das erst spät nicht mehr rough war. Sie bleibt die Königin aus Brownsville, eine große Kämpferin, vor der man sich nur verneigen kann.