Angela Merkel begibt sich in Quarantäne. Sie ließ sich impfen und der Arzt wurde positiv getestet. Die Phantasie ist in diesen Tagen leicht erregbar, merke ich. Ich male mir aus, dass sie vom Virus gepackt wird. Geschwächt wie sie ist, fällt sie aus, liegt im Bett, kämpft um ihre Gesundheit, ihr Körper ist durch 15 Jahre Selbstausbeutung erschöpft. Hat sie neulich nicht mehrmals gezittert, musste sie nicht sitzen, anstatt eine Parade abzulaufen?
Was würde passieren, wenn sie ausfiele? Im auferlegten Stillstand ist sie absolut unentbehrlich. Wir brauchen sie, sie darf nicht ausfallen. Ihre Stärken sind ein Segen für das Land. Sie ist die Merkel, die wir schätzen. Was wäre, wenn – meine reizbare Phantasie bricht ab, bevor ich den Horizont ganz abschreiten kann.
Von unseren Kanzlern wollen wir normalerweise wissen, wie es ihnen geht. Sie sollen da sein, regieren, funktionieren. Wenn wir uns mit ihnen beschäftigen, geht es um Macht: Wer sie ärgert, wen sie ärgert, wer sie Seehofer-mäßig demütigt und wie sie Brüsseler Nächte eisern durchsteht und Donald Trump abtropfen lässt.
Als sie zur mächtigsten Politikern des Erdkreises ausgerufen wurde, war ich stolz auf sie. Als sie sagte, wir schaffen das, hat sie mir imponiert. Dass sie große Reden für eine große Zumutung hielt, fand ich bescheuert. Seit 15 Jahren ist sie da, unübersehbar.
Politikerinnen wie sie sehen wir weniger als Mensch und mehr als Maschine. Angela Merkel hat am 17. Juli Geburtstag und wird dann 67. War sie jemals in diesen 15 Jahren als Kanzlerin richtig und länger krank? Glaube nicht, weiß ich nicht. Das Zittern vor einigen Monaten erregte gewaltiges Aufsehen. Sehr fürsorglich haben wir nicht reagiert. Fürsorge für die Regierenden gehört nicht in unser Repertoire. Sie trinkt zu viel, ging das Gerücht in Berlin um, von interessierter Seite kolportiert. Oder leidet sie vielleicht an Parkinson im Anfangsstadium? Ferndiagnosen können die Pest sein, egal wer sie anstellt.
Was sie macht und wie sie es auf der Pressekonferenz darstellt, kommt auch an diesem Sonntag gut an. Per Videokonferenz hat sie sich mit 14 Länderchefs und 2 Länderchefinnen auseinander. Der Beelzebub war Markus Söder, der mehrmals beleidigt auf den Ausknopf drücken wollte. Der Anti-Söder ist Armin Laschet, der ihm sagt, was die übergroße Mehrheit denkt: Vorprescher, damischer, was soll das, gab’s nicht Verabredungen, warum hältst du dich nicht dran? Sie zahlen es ihm heim, indem sie ihm erst jetzt darüber informieren, was sie sich untereinander ausgedacht haben und in ein Papier gegossen haben, das morgen Gesetz werden wird, woraufhin Markus S. noch erboster mit Ausschalten droht, wobei es aber bei der Drohung bleibt.
Das Argument lautet: Die Leute wollen einheitliche Regelungen haben, in Stuttgart soll es zugehen wie in Berlin oder Buxtehude. Ist wahrscheinlich so, die Gleichheit der Lebensverhältnisse ist ein deutscher Traum. Warum dürfen die mehr als wir, ist ungerecht, typisch Merkel, könnte die Stimmung kippen und das vermutlich ohnehin fragile Vertrauen schwinden. Dann macht es doch einfach so wie wir in Bayern, geht die Söder-Logik. Machen wir nicht, sagen die anderen. Von uns geht ein Gebot aus, von dir ein Verbot.
Ausgangssperren bringen nicht mehr als Kontaktsperren, lautet das Gegenargument, bekräftigt durch den heimlichen Bundeskanzler Christian Drosten. Der Unterschied ist einerseits marginal und andererseits gewaltig. Ich lebe in Berlin nicht anders, als mein Sohn in München. Die Regeln sind dieselben hier wie dort. Ich muss mich aber nicht rechtfertigen, er schon. Mir bleibt prinzipiell die Freiheit, für die er sich rechtfertigen muss. Psychologie ist in Krisenzeiten noch wichtiger als in Normalzeiten.