In meinem Leben war Amerika früh da. Amerika waren die GIs, die in Hof auf Europas größter Radarstation in den Ostblock hinein lauschten. Amerika war der CIA-Agent, der in der Einliegerwöhnung unseres Haus wohnte und die Angewohnheit besaß, ein Glas Whiskey im Fonds seines Autos zu placieren, damit er auf der langen Fahrt von 7 Minuten nach Hause nicht verdurstete.
1975 war ich zum ersten Mal drüben. Aus Sioux City in Iowa, wo meine Freundin wohnte, fuhr ich mit dem Greyhound-Bus nach Denver, mietete einen Leihwagen, kurvte in die Rocky Mountains hoch und fuhr Ski auf diesem einmalig feinen Pulverschnee. Chicago ziehe ich bis heute New York vor.
Amerika bedeutete Sicherheit in meinem Leben. Fünf Kilometer weiter östlich geboren, wäre ich in der DDR aufgewachsen. Amerika war aber auch diese Weite, diese unfassbar eindrucksvolle Natur. Und als ich später Harvard besuchte, nahm ich mir vor, nach meiner Wiedergeburt in diesen heiligen Hallen bei den klügsten Professoren weltweit zu studieren.
Unser Fernsehapparat war noch nicht angeschlossen, als ich, drei Wochen zuvor als „Spiegel“-Korrespondent hereingeschneit, 9/11 erlebte und in dessen Gefolge einen Anfall von Hysterie, wie ihn sich nur Amerika so tiefenscharf gönnt. Einschränkung der Grundrechte. Jagd auf arabisch aussehende Amerikaner. Guantanamo.
In seiner Geschichte gab sich Amerika immer wieder Aufwallungen hin, die man auch als Sympathisant dieses Landes nicht begreift. Die Lynchjustiz des Ku-Klux-Clan bis tief in die 1960er Jahre hinein. Die Jagd auf Kommunisten, die selten welche waren, in den McCarthy-Jahren. Die fingierten Beweise, um Saddam Hussein aus einem Erdloch zu ziehen. Und jetzt Donald Trump.
Ich frage mich, wann diese bürgerkriegsbereite Spaltung Amerikas in zwei Lager eigentlich begann. Erste Anzeichen tauchten unter George W. Bush auf, der den Neokons freien Lauf ließ. Bei den Neokons ragten Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney (dem ein richtig guter Film gewidmet ist) heraus. Sie waren aggressive Nationalisten, wollten autokratische Regime stürzen und die Welt demokratisieren. In Südkorea und auf den Philippinen gelang es ihnen damals, im Irak aber nicht, mit den bekannten Folgen für Syrien und den ganzen Nahen Osten.
Die entscheidende Wirkung erzielte dann Barack Obama. Die weiße Unterschicht drehte durch, weil ein schwarzer Präsident es wagte, zwei Wahlen zu gewinnen. Anstatt dass sich Amerika versöhnte, brach Amerika auseinander. Die Folge war der Überraschungssieg Donald Trumps im Jahr 2016. Die Folge seiner Hetzkampagnen war der 6. Januar 2021, der Sturm auf das Kapitol, ausgeführt von seinen glühendsten Anhängern, die sich unter anderem „Proud Boys“ nannten.
Morgen, am Dienstag, entscheidet Amerika darüber, ob es sich dem Anfall von Wahnsinn weiterhin hingeben will oder die Reißleine zieht. Biegt das Land um wie damals bei McCarthy, der vier Jahre Narrenfreiheit bekommen hatte? Oder dreht das weiße Amerika die Uhr zurück und kehrt die Verhältnisse um? Und was bricht aus, falls Kamal Harris hauchdünn gewinnen sollte und Trump die „Proud Boys“ und die anderen rechten bewaffneten Gruppen zur Korrektur der Wahl aufruft?
Die Gründung Amerikas am 4. Juli 1776 ist bald 250 Jahre her. Kein anderes Land hat die Welt mehr bereichert. Ohne Amerika wären beide Weltkriege im 20. Jahrhundert anders ausgegangen. Nichts ist mit diesem riesigen Land an kulturellem und politischem Einfluss geschichtlich vergleichbar. Groß gehandelt hat es und groß geirrt. Es gibt jede Menge Gründe, Amerika zu hassen. Die Gründe, es zu bewundern, haben abgenommen.
Natürlich wäre es mir lieber, Kamala Harris würde Präsidentin. Denn mein Amerika wäre nicht mehr mein Amerika, wenn es kommt, wie es zu kommen scheint und Donald Trump an die Schaltstellen der Supermacht zurückkehrt.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.