Die Lage ist verdammt unübersichtlich, darüber könnten sich schon mal alle Parteien einig sein. Gerade deshalb üben sie sich im Anlegen von Brandmauern, mal nach rechts, mal nach links – oder was sie für links halten.
Markus Söder, der angeblich fein damit ist, dass er nicht die Nummer 1 der Union sein darf, brandmauert neuerdings gegen Grün. Natürlich nicht aus Überzeugung, denn was ist schon Überzeugung mehr als Selbstüberredung zum hurtigen Meinungswechsel, wenn sich der Wind dreht.
Die Grünen sind für ihn des Teufels, weil sie links-ideologische Überzeugungen vertreten. Und weil es tatsächlich zwei CDU-Hanseln gibt, den Hendrik (Wüst) im Westen und den Daniel (Günther) im Norden, die es noch immer wagen, mit den Grünen zu regieren, muss der fränkische Bayer ihnen heimleuchten, dass ihnen das Denken im großen Ganzen ganz einfach abgeht, das wiederum ihn, dem Markus, so ungemein auszeichnet.
Es ist immer wieder interessant, wen sich Söder als neues Feindbild erwählt. Er hätte ja auch gegen die beiden anderen CDU-Ministerpräsidenten Michael (Kretschmer) und Mario (Voigt) stänkern können, die in einem gemeinsamen FAZ-Artikel mit SPD-Dietmar (Woidke) für mehr Diplomatie und Frieden in der Ukraine plädieren. Natürlich aus tiefster Überzeugung – um Sahra Wagenknecht gefällig zu sein, mit der sie regieren müssen.
Die Grünen stehen im Dauerregen. Gegen sie zu sein, ist momentan leicht. Markus Söder macht es sich gerne leicht. Also schwingt er sich auf zum apokalyptischen Vorreiter gegen eine Koalition im Bund. Vielleicht entfällt ihm aber auch bald wieder die Überzeugung von heute, sobald sich der Wind dreht, wovon man eigentlich ausgehen sollte. Bis dahin tut er eben so, als hätte er die Deutungshoheit über Weltinnen- wie Weltaußenpolitik, die für ihn identisch ist mit CDU/CSU, versteht sich.
Was sich in den drei ostdeutschen Ländern ereignet (oder vielleicht auch nicht), ist ein heißes Eisen und deshalb erst mal Friedrich Merz überlassen. Läuft es schief, hat es Markus Söder mit seinem weiten Horizont immer schon besser gewusst, darauf können wir uns verlassen. Auch so sieht sie aus, die Solidarität unter Demokraten.
In Sachsens CDU kursiert ein Brief, in dem Honoratioren von gestern dazu auffordern, die AfD nicht weiterhin auszugrenzen. Der Meinung kann man sein und ist man nicht nur dort. Nur hat Michael Kretschmer Zusammenarbeit mit der AfD genauso ausgeschlossen wie Kohabitation mit der Linken und auch eine Minderheitsregierung hat er gebrandmauert. Der Mach-ich-nicht-Will-ich-nicht Rundumschlag brachte Kretschmer den knappen Vorsprung vor der AfD ein, hat sich folglich bewährt und wird in dieser Unübersichtlichkeit gegen Renegaten, und davon gibt es ja nicht wenige, verschärft verteidigt.
Da macht sich Kretschmer lieber abhängig vom BSW und lässt sich auf außenpolitische Lippenbekenntnisse ein, welche die Landespolitik übersteigen, aber egal. Sahra Wagenknecht will es so und bekommt es eben so.
In Thüringen ist man schon weiter. Dort haben CDU und BSW gemeinsam einen Covid-Untersuchungsausschuss einberufen. Worin seine Wahrheitsfindung bestehen soll, ist unklar, aber darauf kommt es auch nicht an, oder?
In Thüringen muss es geben, was es in Sachsen nicht geben darf: eine Minderheitsregierung. CDU, SPD und BSW bringen es auf exakt die Hälfte aller Stimmen im Landtag: 44. Also muss sich Mario Voigt eine Mehrheit suchen, wo er sie nicht suchen darf, und hat dabei die freie Wahl zwischen der Linken und der AFD.
Zum Glück gibt es den überaus pragmatischen Bodo Ramelow, ehemals linker Ministerpräsident, dem es zuzutrauen wäre, dass er aus sachlichen Erwägungen wie ein Neutrum mit der Regierung stimmen wird. Aber auch die AfD wird es sich nicht nehmen lassen, die Koalition dann und wann durch Ja-Sagen in Verlegenheit zu stürzen. Für permanente Aufregung ist in Thüringen jetzt schon gesorgt.
Ist das dann noch eine Brandmauer oder kann das weg, dank der Lex Ramelow? Und wie tief hängt sich Friedrich Merz überhaupt in den drei ostdeutschen Ländern rein? Theoretisch können Brandmauern wegen neuer Umstände geschliffen werden. Oder man ignoriert sie aus übergeordneten Gesichtspunkten. Aber ignoriert Markus Söder dann mit oder holt er wieder die Besserwisser-Keule heraus?
Hübsch kompliziert ist auch die Lage in Brandenburg. Dort hat sich das Landesparlament noch nicht konstituiert. Wer regieren muss, ist unumstritten: SPD und BSW. Den ersten Kotau hat Dietmar Woidke mit dem FAZ-Artikel schon geleistet, den Sahra Wagenknecht klug und differenziert fand, so ein Zufall.
Trotzdem verhält sich der weiterhin amtierende Ministerpräsident sperrig, weil er sich nicht Vorschriften von der unumschränkt herrschenden Namensgeberin des BSW gefallen lassen möchte. Ziemlich widersprüchlich, aber na ja, wir müssen uns alle an undankbare Umstände gewöhnen.
Die Anpassung mag sich hinziehen, dann verliert sie womöglich sogar ihren Schrecken. Aber auch die nächsten Aufwallungen werden in Ostdeutschland ganz bestimmt nicht ausbleiben. Der fränkische Bayer, der sich fürs große Ganze zuständig fühlt wie sonst niemand, wird sie autoritativ kommentieren, soviel ist sicher.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.