Alter zählt. Alter schwächt. Egon Bahr, der mit 93 starb, erzählte davon, dass es meistens bei den Beinen beginnt. Der Kopf mag noch eine Zeitlang solide arbeiten, aber die Gliedmaßen lassen zuerst nach.
An Joe Biden lässt sich der schleichende Verfall ablesen. Groß wie er ist, stakst er mit kleinen Schritten, weil er das Gleichgewicht nicht mehr sicher halten kann. Äußerlich wirkt er maskenhaft, was vermutlich an ästhetischen Korrekturen liegt, die so viele Menschen in fortgeschrittenem Alter an sich vornehmen lassen. Beim Reden verliert er den Faden, fängt irgendwo an und hört stockend anderswo auf.
Nur noch eine Frage von Tagen oder wenigen Wochen dürfte es sein, bis er die Konsequenzen aus seinen schwindenden Kräften zieht. Danach wird Donald Trump der alte Mann sein, der unter Beobachtung steht.
Kein Zweifel, der Wunsch nach Rache hält den Narzissten Trump unter Strom und deshalb wirkt er vital. Sein Problem ist auch nicht die Stringenz der Gedanken, sondern die Flut der Beschimpfungen, die aus seinem Munde quillt, wenn er meint, es geschehe ihm Unrecht. So ist es, wenn in Menschen der solipsistische Glaube vorherrscht, die Welt drehe sich ausschließlich um sie.
Aber was ist das richtige Alter für einen Präsidenten, einen Regierungschef, einen Kandidaten für hohe Staatsämter? Gibt es zu alt, gibt es zu jung?
Barack Obama war erst 55 am Ende seiner Zeit im Weißen Haus. Als er dort eingezogen war, wirkte er nicht nur jung, sondern auch unerfahren. Den Mangel kompensierte er mit Intelligenz und einem Schwarm ergebener, kluger Berater. Emmanuel Macron erreichte mit knapp 39 das Amt, das er mit 49 verlassen wird. Dann wird er ein Präsident gewesen sein, der seiner Neigung zu einsamen Beschlüssen umfassend nachgab. So sind Obama und Macron die größtmöglichen Gegensätze bei ähnlichen Ausgangspunkten.
Das Alter ist wichtig in der Politik, keine Frage. Mehr Gewicht fällt aber dem Gemüt zu, jenem inneren Mittelpunkt eines Menschen, in dem sich der Charakter, das politische Können und der Sinn für das Handeln im richtigen Moment bündelt. Darin unterscheiden sich die Menschen, die in höchste Ämter gelangen.
Keir Starmer ist 61 Jahre alt und seit Freitag Premierminister.
Wenig nur wissen wir über den haushohen Gewinner der britischen Unterhauswahlen. Bisher profitierte er vom Kontrast zu seinem linken Vorgänger Jeremy Corbyn, dessen Gefolgsleute er aus den vorderen Rängen vertrieb. Auch unterscheidet er sich vorteilhaft von Gaudiburschen wie Boris Johnson. Starmer gilt als langweilig, aber das ist momentan noch kein Nachteil, weil Großbritannien von egozentrischen Charismatikern die Nase voll hat.
Wer Keir Starmer ist und was er kann, ob er ein stabiles Gemüt und einen inneren Kompass besitzt, muss er jetzt zeigen. Aus dem Stand, ohne Anlauf. Morgen beginnt der Nato-Jubiläumsgipfel in Washington. Seine neuen Kolleginnen und Kollegen werden ihn freundlich begrüßen und neugierig verfolgen, ob er sich mit Redebeiträgen vordrängelt oder diskret zurückhält.
So stark wie am Tag der Machtübernahme wird Starmer nie wieder sein. Dafür dürfte auch seine Labour Party sorgen, die momentan trunken vor Siegesfreude ist und gerade deshalb Ansprüche an die Umgestaltung der herrschenden Verhältnisse stellen wird, die der Premierminister tunlichst nicht erfüllen sollte. Und wie verhält er sich gegenüber der EU – sucht er Annäherung, auch wenn er an den Brexit nicht rühren will?
Frankreich ist anders. Frankreich hätte fast einen blutjungen Premierminister bekommen, wenn denn die Linke und Macrons Mitte-Partei nicht ein Bündnis gegen die Rechte geschlossen hätten. 28 Jahre alt ist Jordan Bardella und Vorsitzender des Rassemblement National. Seine Altersgenossen mögen lange Wochenstunden in ihren ersten Jobs abreißen und schon gutes Geld verdienen. Bardella aber brach sein Studium ab und warf alles auf die Politik. Von seiner Mentorin Marine LePen lernte er, was ein rechter Anführer auf dem Kasten haben muss. Den Mangel an Erfahrung sucht er mit geschliffener Rhetorik wett zu machen.
Erfahrung kommt mit den Jahren, wie denn sonst. Olaf Scholz zum Beispiel ist vor kurzem 66 Jahre alt geworden. Klein und schlank, diszipliniert und sportlich wie er ist, könnte er eigentlich noch länger Bundeskanzler bleiben. An Erfahrung kommt ihm kaum einer gleich. Seine Schwäche ist diese merkwürdige Arroganz, vieles besser als viele andere zu wissen, und ein gewisser Realitätsverlust.
Friedrich Merz wiederum wird im November 69. Mit knapp 70 könnte er unser nächster Bundeskanzler sein. Seine Neigung zu flapsiger Arroganz könnte ihn mehr noch als sein Alter in Schwierigkeiten bringen. Eigentlich wäre er die ideale Übergangsfigur. Wenn er nur wollte, könnte er einem jüngeren Christdemokraten den Weg ebnen und somit die Voraussetzung für längeres Regieren seiner Partei schaffen.
Wen sollte er protegieren? Na ja, da gibt es Hendrik Wüst oder Boris Rhein oder Daniel Günther. Es wäre doch ein Akt der Souveränität, wenn Merz einen der Drei ins Kabinett holte, ihn förderte und ihm nach zwei Jahren das Ruder überließe. Aber wer bringt ihn auf diese Idee? Auch bei Merz stellt sich die Frage, ob er sich etwas sagen lässt – nach dem Charakter.
Alter ist schwierig, Alter kann auch eher gemütliche Gemüter zu Starrsinn veranlassen und so ein Drama verursachen, das über das Persönliche weit hinausgeht. In Washington entfaltet es sich gerade. Joe Biden ist noch im Stadium Ich-will-es-nicht-wahrhaben, dass ich mich als Kandidat zurückziehen soll. Eine gewisse Frist bleibt ihm sogar noch, weil ja eine Alternative erst noch gefunden und auf biographische Unangreifbarkeit getestet werden muss. Auch das Unabänderliche will Weile haben.