Wenn es so kommt, wie die meisten Franzosen glauben, dann wird ein junger Mann von 28 Jahren ihr nächster Premierminister. Er heißt Jordan Bardella, tritt stets perfekt gekleidet im Anzug mit fabelhaft geknoteter Krawatte auf und beweist sein rhetorisches Geschick im Fernsehen wie auf dem Marktplatz.
Bardella macht allerdings eine Einschränkung: Er wolle nur Regierungschef werden, wenn seinem rechten Rassemblement National die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung zufällt. Na ja, mal schauen, ob er sich besinnt, falls seine Partei unter 50 Prozent bleibt.
Bardella wirkt wie ein Wiedergänger des Österreichers Sebastian Kurz, der ebenfalls eine derart verblüffende Karriere begonnen hatte, bevor er das 30. Lebensjahr erreichte. In ihm wiederholt sich das Junggeniehafte und Angstfreie, das Glatte und Perfekte. Was daran Überzeugung ist und was flexibler Opportunismus wird sich in Kürze zeigen. Man darf gespannt sein, ob sich für Bardella auch der ikarushafte Absturz wiederholt, den Sebastian Kurz hinter sich brachte.
Bardella ist ein Zögling von Marine LePen. Schon vor zwei Jahren erhob sie ihn zum Vorsitzenden der rechten Partei und sieht jetzt für ihn den Durchbruch in ein hohes Regierungsamt vor. Im rechten Marsch durch die Institutionen wäre dann in zwei Jahren Marine LePen dran, Präsidentin zu werden. Voraussetzung ist natürlich, dass Bardella bei aller Unerfahrenheit einigermaßen über die Runden kommt.
Im Fernsehen maß sich Bardella schon mehrmals mit Gabriel Attal, dem jungenhaftem Premierminister, der 35 Jahre alt ist. Attal ist das Produkt Emmanuel Macrons. Er ist liberal wie sein Präsident. Er legt sich ungern fest und sah deswegen nicht besonders gut aus gegen den kühlen Bardella, der sein Lied vom Frankreich der kleinen Leute singt, die ein hartes Leben führen und deshalb von der hohen Steuer auf Benzin und Energie befreit würden, sobald er Premierminister ist. Dass auf Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft ein Berufsverbot im öffentlichen Dienst zukommen soll , wiederholt Bardella in dieser Schärfe nicht mehr. Kam nicht gut an, kann weg.
Gestern Abend debattierten Bardella und Attal mit Manuel Bompard im französischen Fernsehen. Bompard gehört zur Linken, die mit Ökologen und Kommunisten ein Bündnis eingingen, das sich „Nouveau Front Populaire“ nennt, neue Volksfront. Eine kühne Namensgebung, denn die alte Volksfront unter Léon Blum war in den Vorkriegsjahren 1936 bis 1938 ziemlich unerfreulich gescheitert.
Bompard, der auch erst 38 Jahre alt ist, wirkt wie das ästhetische Kontrastprogramm zu den beiden wohlgekleideten, wohlrasierten Kunstprodukten. Er trägt Fünf- bis Sechstagebart, legt keinen Wert auf feines Tuch, blickt melancholisch aus müden Augen und trägt streng vor, dass die Rente mit 60 und die Erhöhung des Mindestlohns von 14 auf 16 Euro notwendig seien und Lebensmittel nicht erhöht werden dürften.
So bleibt Frankreich bleibt die Wahl zwischen verschiedenen Lagern mit fundamentalen Unterschieden. Auch deshalb entwickelte sich die TV-Debatte zur Wortschlacht. Ständig fielen sich die drei Kombattanten ins Wort und erklärten sich gegenseitig zur größten Gefahr fürs Vaterland. Attal verteidigte seine Reformen und nannte die ökonomischen Ideen der anderen völlig abwegig. Bardella betete seine Aversion gegen Immigranten herunter und versprach, er werde für Sicherheit sorgen. Beide echauffierten sich über Bompards Vorstellungen vom noch früheren Ruhestand.
Die Extreme schaukeln sich bei dieser Wahl hoch. Dabei liegt die Rechte in den Umfragen stabil vorn. Auf der Strecke scheint die bürgerlich-liberale Mitte zu bleiben, die Emmanuel Macron anführt. Anstatt einer Wiederauferstehung erlebt seine Partei wohl einen herben Rückschlag.
Und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass Jordan Bardella ins Hôtel Matignon einziehen wird, wo der französische Premier residiert – der jüngste Premier aller Zeiten aus einer Partei, von der noch vor kurzem niemand gedacht hätte, dass sie je regieren würde.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.