Ein bisschen Demut, gefälligst

Wenn Freunde oder Verwandte in Urlaub fahren, wünscht man ihnen eine tolle Zeit und umfassende Erholung an Leib und Seele. Und wenn man bester Laune ist, zum Beispiel auch, weil man sie auf einige Zeit los ist, was man sie natürlich nicht spüren lassen sollte, dann erteilt man ihm auch noch einen guten Ratschlag, was er zur inneren Fortbildung lesen sollte.

Nun sind die Herren und Damen, die uns regieren, in den Urlaub entschwunden. Von Hubertus Heil wissen wir, dass er nicht nur in Brandenburg wohnt, sondern dort auch urlaubt. Friedrich Merz lässt wissen, dass er in Südfrankreich Rad fahren wird. Muss man ihm einen wachsamen Schutzengel wünschen, ist ja nicht mehr der Jüngste. Olaf Scholz weilt an unbekanntem Ort, ist verständlich für den Kanzler, na ja. Robert Habeck und Annalena Baerbock waren vorher noch in Sachsen unterwegs.

Also was würden wir dem einen oder der anderen als Buchempfehlung mitgeben? Alle sollten unbedingt „Eine Frage der Chemie“ lesen. Hat eine Frau im fortgeschrittenen Alter geschrieben, herrliches Buch, macht glücklich. Wir wollen gar nicht erwarten, dass sie es von vorne bis hinten lesen. Es genügt ja schon den Titel ernst zu nehmen. Chemie ist die Wissenschaft, welche die Eigenschaften, die Zusammensetzung und die Umwandlung der Stoffe und ihrer Verbindungen erforscht. Chemisch aber hat der Stoff, aus dem die Regierung besteht, einige Eigenschaften, die dringend einer Umwandlung bedürfen. Sind wir zuversichtlich? Müssen wir im eigenen Interesse sein.

Olaf Scholz würde ich gerne das wunderbare Buch über „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ schenken, das der leider gerade eben verstorbene Milan Kundera geschrieben hat. Dabei kommt es auf die innere Verweigerung der Hauptfigur an, das ist der Chirurg Tomas, sich zu ändern. Was uns das lehrt: Ist gut, wenn man sich treu bleibt. Ist schlecht, wenn man sich damit keinen Gefallen tut. Ist es ratsam, sich trotzdem treu zu blieben? Doch wohl nicht. Noch Fragen?

Für Annalena Baerbock fällt die Wahl leicht: Clausewitz „Vom Kriege“, vor rund 200 Jahren verfasst, unvollendet geblieben, was ja auch ein Symbol für die Kraft des Krieges ist, der alle Beteiligten verschlingen kann. Kühl und klar, nüchtern und sachlich hat es der geadelte preußische General geschrieben. Er glänzt durch Abwesenheit von Moral und die Dialektik von Politik und Krieg. Insofern Pflichtlektüre für von Haus aus romantische Menschenwesen, die ins Grübeln kommen wollen. Kommt die Außenministerin ins Grübeln?

Friedrich Merz sollte mal Dirk Oschmanns „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ lesen. Oschmann ist ein DDR-Arbeiterkind, das es zum Professor für Neuere Deutsche Literatur in Leipzig gebracht hat, eine tolle Karriere, aus der ihm keine reine Genugtuung erwächst. Denn das Arbeiterkind im Professor hat einen Wutschrei in Form eines Buches ausgestoßen. Daraus lässt sich viel über die herrschende Stimmung in den ostdeutschen Ländern herauslesen, in denen im nächsten Jahr gewählt wird. Nach der Lektüre sollte dem Radfahrer Merz die Erleuchtung heimsuchen, wer in Wahrheit der Hauptgegner der CDU ist.

Und dann wollen wir noch Christian Lindner literarisch beglücken und zwar mit Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“. Auf seiner Lebensreise begegnen ihm ebenso interessante wie eitle Figuren. Er selber findet zur Demut, eine Tugend, in der sich eine wahrhaft liberale Grundhaltung erkennen lässt, da sie andere zu ihrem Recht kommen. Ja, und Demut täte nicht nur Lindner gut, sondern auch anderen Regierungsmitgliedern, die im Übermaß auf sich selber bedacht sind.

Ich bin wirklich gespannt, wie sie in ein paar Wochen wieder auftauchen, die Minister und Ministerinnen, braun gebrannt und hoffentlich ausgeschlafen. Eines geht ja gar nicht: Einfach so weitermachen. Denn wenn sie selbstvergessen dort weitermachen, wo sie aufgehört haben, leidet das Ganze darunter, also wir, also das Land.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.