Lasst uns auf die Frauen hoffen

Ich hatte mir die Europameisterschaft der Frauen angeschaut und war wirklich sehr angetan und mehr noch: begeistert von der deutschen Mannschaft. Kampfkraft und Technik. Mut und Willensstärke. Stürmende Außenverteidigerinnen, die konsequent verteidigten. Durchsetzungsstarke Mittelstürmerin. Pech im Endspiel, aber mit hoch erhobenem Haupt verloren.

Damals schrieb ich, Kimmich könne sich einiges von Lena Oberdorf abschauen. Im Nachhinein würde ich empfehlen, dass sich die gesamte Mannschaft und der Trainerstab vieles abschauen sollten, was die Frauen richtig machen und die Männer falsch. Die Enttäuschung von heute entspricht der hohen Anerkennung von damals.

Kimmich: hoher Anspruch, nicht eingelöst. Neuer: ein Schatten seiner selbst, 4 von 5 Toren hätte jemand mit seinem Anspruch halten müssen. Dass Müller seine Zeit hinter sich hat, sahen Millionen Zuschauer, nur der Bundestrainer nicht. Dass Gündogan die Schaltfigur im Mittelfeld war, gefiel den Zuschauern, aber hielt den Bundestrainer nicht davon ab, ihn stets auszuwechseln, damit die gegnerische Mannschaft Tore schießen konnte. Ich habe Flick in diesem Turnier selten verstanden.

Er wandte das Erfolgskonzept aus seiner Bayern-Zeit an und stellte so viele Bayern wie möglich auf. Bei Bayern hatten Gnabry, Sané, Müller und Musiala aber Lewandowski vor sich und Müller war mal vieles, aber nie ein Lewandowski. Immerhin sah Flick ein, dass Füllkrug die Intuition eines Tore-Garanten besitzt und nahm ihn mit. Warum er ihn gegen Costa Rica nicht von Anfang an einsetzte, bleibt sein Geheimnis.

Deutschland hat nicht wie Bayern München gespielt, sondern wie Borussia Dortmund. Dortmund ist auch so eine Mannschaft mit Talent und einem Mangel an Willenskraft. Deshalb steht der BVB in der Bundesliga dort, wo er steht. Deshalb ist Deutschland allenfalls Mittelmaß. Süle ist die Inkarnation der Trägheit hier wie dort. Mächtiger Körper, zittriges Gemüt, Hang zu Fehlern. Luftloch im eigenen Strafraum gegen Costa Rica! Oder Schlotterbeck: hier wie dort eine sichere Bank für schwache Gegenwehr.

In der spanischen Mannschaft spielen Spieler, die im Verein nicht unbedingt erste Wahl sind, eine herausragende Rolle. Olmo, in Leipzig meist von der Bank: Spielmacher. Asensio: bei Real zweite Wahl, in der Nationalmannschaft gesetzt. Was sieht Luis Enrique, was Hans-Dieter Flick nicht sieht? Offenbar das Entscheidende. Was lernt man daraus? Eine Mannschaft muss ein inneres Gefüge haben, das ihr Stabilität verleiht. Nicht eine Ansammlung der besten Spieler ist automatisch eine gute Mannschaft. Nicht die Spieler mit dem größten Anspruch lösen zuverlässig die hohen Erwartungen ein. Eine Mannschaft ist ein Mosaik, dessen Schlußstein ein eher unscheinbarer Spieler sein kann. Kanté bei Frankreich ist so einer; er ist verletzt und sein Fehlen wird sich noch bemerkbar machen. Choupo-Moting aktuell bei Bayern. Harry Maguire bei England. Schwarzenbeck früher in der deutschen Nationalmannschaft.

Mal schau’n, welche Konsequenzen der DFB ziehen wird. Wahrscheinlich lösen sie Bierhoff ab, damit wenigstens einer geht, der aber nicht Flick heißen darf. Es gibt da ja eine Tradition, siehe Löw. In anderthalb Jahren ist Europameisterschaft. Viel Glück.

Die Frauen spielen im nächsten Jahr ihre Weltmeisterschaft aus. Ich bin gespannt, ich freue mich darauf, ich halte Lena Oberdorf und Merle Frohms und den anderen ganz fest die Daumen. Sie werden uns nicht enttäuschen.