Nur Rechthaber haben immer recht

Ein alter Leitspruch im Journalismus lautet: Argument schwach, Stimme heben. An ihn wird man in diesen Tagen immer mal erinnert.

Im „Spiegel“ steht ein flammender Leitartikel über das bürokratische Monstrum, zu dem Gas- und Strombremse geraten seien. Die Autorin, die ich eigentlich sehr schätze, gesteht unter Hinweisen auf ihre stattliche berufliche Erfahrung ein, dass sie selber nicht alle komplexen Details versteht. Also hebt sie die Stimme, gerade weil dieses persönliche Argument nicht sehr stark ist.

Wichtig ist doch das Wesentliche. Der Dezember wird ein guter Monat sein, weil da der Großteil der Gasrechnung vom Staat übernommen wird. Im Januar setzt die Strompreisbremse ein, auch gut. Darauf kommt es für die Verbraucher an, und für sie tut die Regierung das Nötige.

Müssen sämtliche Konsumenten eine genaue Vorstellung davon haben, auf welch komplizierten Wegen das Sinnvolle bürokratisch zustande kommt? Müssen sie nicht. Man kann auch gerne im Nachhinein noch einmal Kritik an dem langen Findungsprozess üben und daran erinnern, dass vor noch nicht allzu langer Zeit wir Konsumenten die Gasumlage für die Versorgungsunternehmen bezahlen sollten. Hat die Regierung jedoch am Ende verworfen. War richtig so. Ändern sich die Bedingungen, müssen sich auch die Meinungen ändern, das weiß man aus dem Leben. Nur Rechthaber haben immer Recht.

Annalena Baerbock passt die Teilhabe des chinesischen Staatskonzerns am kleinsten Hamburger Hafenterminal nicht und sie sagt es unüberhörbar. Daraus entsteht nun in manchen Blättern die raunende Frage, ob Baerbock auf Konfrontation gegen den Kanzler gegangen ist. Wenn eine Bundestagswahl bevorstünde, läge der Verdacht nahe. Steht aber nicht bevor. Und die Außenministerin erweckt durchaus den Eindruck, dass es ihr um die Sache geht. Gegen die Scholz-Entscheidung kann man mit gutem Grund sein.

Vor Jahren rief eine damals prominente Grüne, Antje Vollmer hieß sie, zur Ressourcenschonung auf. Gemeint war der Umgang der Journalisten mit den Regierenden. Sie bat um Geduld, um Fairness, um ein Mindestmaß an Verständnis. Wäre gut, wenn sie heute in unserer permanent erregungsbereiten Empörungsgesellschaft Nachfolger fände. Wir erleben nun einmal Ausnahmezeiten in Serie. Da wäre ein bisschen Nachsicht mit den Handelnden unter historisch beispiellosen Bedingungen nur menschenfreundlich. Anders gesagt: Gemach, liebe Jagdgesellschaft, beim Runterschreiben von Robert Habeck oder Häme für Christian Lindner.

Es geht ja um etwas. Meinungsverschiedenheiten sind erlaubt, selbst innerhalb einer Regierung, wenn Deutschland sich klar darüber werden will, welches Verhältnis es zur nächsten Supermacht China einnehmen soll. Das Hamburger Terminal ist ein Symbol dafür. Die mitreisenden Wirtschaftsführer treten natürlich für eine Ausdehnung des Handels mit China ein, genauso wie sie bis vor kurzem für billiges Gas aus Russland eingetreten waren. Sie sind an Handel interessiert und ob daraus ein Wandel wird, ist ihnen zweitrangig.

Politisch gesehen ist die These Wandel durch Handel seit dem Überfall auf die Ukraine vergiftet. Ohnehin verfällt wahrscheinlich niemand der Illusion, dass sich der Mao-Imitator Xi Jinping in irgendeiner Weise von Europa beeinflussen ließe. China braucht Europa, solange es Europa wirtschaftlich braucht. Strategisch oder gar militärisch ist der alte Kontinent belanglos, ein Anhängsel Amerikas, wenn überhaupt.

Die Welt rast vor sich hin und überschüttet die Regierungen mit fundamentalen Problemen. Morgen zeichnet sich bei den Wahlen zum Kongress womöglich ab, dass Donald Trump erneut antritt oder auch nur einer seiner Klone Präsident werden will, schlimm genug. Die Welt gerät noch mehr aus den Fugen und bietet unliebsame Überraschungen in Serie. 

In Deutschland, solide regiert, tut man gut daran, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, anstatt die Stimme ständig zu heben.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.