Die Aseler Brücke verschwand vor ein paar Jahren im künstlich aufgestauten Edersee, das ist der flächenmäßig zweitgrößte deutsche Stausee und liegt in Hessen. Jetzt ist die Brücke aber wieder aufgetaucht, kann sogar begangen werden, als sei sie nie weg gewesen, denn so niedrig ist der Pegelstand. In der Oder wiederum schwimmen Tonnen von Fischkadavern. Die polnische Regierung, die lange zögerte, bis sie Alarm schlug, vermutet nun, dass chemische Abfälle die Ursache für das große Sterben sind. Dazu die Waldbrände in Sachsen und Brandenburg, zu schweigen von denen in Frankreich oder Spanien – wir erleben einen ökologisch verheerenden Sommer.
Es gehört schon ziemlich viel Eigensinn (nett gesagt) dazu, den Klimawandel noch immer in die Geschichte der Naturveränderungen einzureihen, die sich nun einmal ereignen, ohne dass der Mensch etwas dagegen tun kann oder Schuld daran trägt. Diese achselzuckenden Grundhaltung ist unter Rechten in ganz Europa zu finden, auch wenn sie momentan eher stumm bleiben. Dieser Sommer mit seinen Begleiterscheinungen hat seine eigene Überzeugungskraft.
Früher mag es autonome Klimaveränderungen gegeben haben. Aber die Industrialisierung macht den Unterschied aus. Sie trat vor mehr als 200 Jahren auf, brachte den Kapitalismus hervor, der seither alles ausbeutet, was unter der Erde und über der Erde wächst und zu bearbeiten ist. Der Kapitalismus bringt Wohlstand hervor und vernichtet zugleich seine Ressourcen. Er ist Segen und Fluch in einem.
Die Alternative dazu wäre eine ökologische Diktatur. Diese Idee spukte anfangs in der „Friday-For-Future“-Bewegung herum. Das ist die Bewegung, die Massendemonstrationen für den geeigneten Hebel hält, um Veränderungen im Bewusstsein der Menschen und den Köpfen der Regierung zu erreichen. Dort ragen radikalbürgerliche junge Menschen wie Lisa Neubauer heraus, mit der sich auch grün angehauchte CDU-Eltern anfreunden können.
„Ende Gelände“ ist das ganze Gegenteil von „Friday for Future“. Geheimbündlerisch. Aktionen in Kleingruppen. Linksradikal. In Hamburg organisiert „Ende Gelände“ eine Aktionswoche mit sozusagen repräsentativen Handlungen rund um den Hamburger Hafen, zu denen sie ihre weißen Maleranzüge überwerfen. Dieser Dresscode ist ihr Markenzeichen. Angefangen haben sie vor Kohlekraftwerken, ihr neues Augenmerk liegt auf den Flüssiggasterminals, die entstehen sollen, um Gas aus Russland zu ersetzen.
Ökologie ist wichtig. Bewegungen sind wichtig, weil sie Gesellschaften aufrütteln. Aber der Krieg in der Ukraine hat die Ökologie verdrängt, vielleicht nur für den Moment, vielleicht dauert der Moment aber auch länger. Krieg ist der größte Vernichter von Menschen, Umwelt und Städten. Dem Krieg ist alles egal, und so lange er andauert, folgt er seiner schrecklichen Logik.
Für Deutschland werfen die Folgen des Krieges die soziale Frage auf, die sich spätestens am 1. Oktober abzeichnet, wenn die neue Gasumlage die Verbraucher erreicht. Finanzminister Christian Lindner schickte soeben ein Schreiben an die EU mit der Bitte um eine Ausnahme. Nach europäischem Recht müsste die deutsche Regierung Mehrwertsteuer auf die Gasrechnungen ihrer Bürger erheben. Davon würde der Staat profitieren, will er aber nicht, und deshalb bittet Lindner darum, ausnahmsweise auf die Mehrwertsteuer verzichten zu dürfen. Sein Argument: Preistreiberei würde den Widerstand der Menschen verschärfen; es komme aber beim Regierungshandeln im Herbst auf die Akzeptanz der Bevölkerung an. Recht hat er.
Der menschliche Welterklärer in der Regierung ist Robert Habeck. Der „Süddeutschen Zeitung“ gab er ein Interview, in dem er gleich zu Beginn das Entscheidende sagte: „Aber natürlich habe auch ich Sorgen, was den Zusammenhalt der Gesellschaft angeht oder die Versorgung von Industrie und Bevölkerung. Es wird anspruchsvoll, das Land gut durch diese Phase zu führen.“
Soziale Fragen sind Gerechtigkeitsfragen. Deshalb will die Regierung den Menschen, die von Sozialtransfers leben oder Wohngeld beziehen, die Mehrkosten an Energie voll ausgleichen. Da die Preise an allen Ecken steigen, steigen auch die Einnahmen des Staates, die dann zur sozialen Entlastung verwendet werden können. Und natürlich wäre es ein starkes Zeichen ausgleichender Gerechtigkeit, wenn Konzerne, die rund um den Ukraine-Krieg hohe Übergewinne erzielen, zur Kasse gebeten würden. Ist nicht einfach, muss man geschickt machen, aber ein Zeichen wäre es schon. Man könnte es gesellschaftliche Solidarität nennen, sagt Habeck wie nebenbei.
So wichtig sie sind, bleiben ökologische Bewegungen momentan peripher, was sich auch wieder ändern wird. In Herbst und Winter aber kommt es darauf an, das Land zusammen zu halten. Gut, dass die Regierung schon jetzt dafür Vorbereitungen trifft.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.