Der große Ted

Ted ist tot, wie traurig, ich kann es nicht glauben und will es schon gar nicht. Am Wochenende wollte ich ihn in Hamburg treffen, denn beim letzten Mal hatte er abgesagt, weil er in die Lüneburger Heide fuhr, eines seiner vielen Kinder und dessen Kinder wollte er sehen. Wie schade.

Ted Sommer, den niemand Theo nannte, war mein erster Chef und mein liebster. Er verbreitete gute Laune, er war immer für eine Pointe gut; von ihm stammte die Pinte, die so ging: Lieber eine gute Pointe als ein guter Freund. War natürlich Ironie, aber Ironie geht ja so: im Spaß gesagt, im Ernst gemeint.

Ich war jung, ich kam in diese Redaktion aus vorzüglichen Schreibern und profunden Kennern. Ich war voller Ehrfurcht und voller Angst, ich könnte nicht mithalten. Als ich meine ersten Leitartikel schreiben sollte, machte Ted mir Mut. Du kannst das, bedeutete er mir, du weißt es vielleicht nicht, aber ich weiß es, vertrau mir. Ich kann gar nicht sagen, wie viel mir dieses Vertrauen bedeutete. Es trug mich, es überbrückte die Versagensangst, ich konnte mich auf mich verlassen, weil er mir zu verstehen gab, dass ich mich auf mich verlassen konnte.

Er vertraute seiner Redaktion, er mochte sie. Wenn am Dienstag, dem Schlusstag, Historisches geschah, zum Beispiel ein ägyptischer Präsident ermordet wurde (Anwar el-Sadat) oder Margaret Thatcher die britische Flotte nach den Falklands schickte, die frecherweise Argentinien annektieren wollte, dann lief Ted zu großer Form auf. Frische Ware, gute Ware. „Die Zeit“ würde auf einer Höhe mit den Tageszeitungen sein, es war ja die analoge Ära. Er konnte Zögernde mitreißen, Zauderer trauten sich angesichts seines Selbstvertrauens nicht zu zaudern.

Ted war angstfrei. Ted lachte am fröhlichsten über Witze auf seine Kosten. Ich sagte mal, Ted, Sie würden jede Revolution gegen Sie persönlich anführen, und er sagte auf seine typische Art glucksend vor Vergnügen. Ja, ja, ja!

Am Mittwochmorgen um 10 Uhr trafen wir uns oft, egal wie spät es in der Produktionsnacht geworden war, zum Squash spielen. Er gewann nie, er war ja 20 Jahre älter, aber seine Begeisterung ließ nie nach und er versuchte es immer wieder, mich zu schlagen. Er war ein großer Junge und manchmal kam er mir vor wie ein Bruder, auf den ich aufpassen wollte, seltsam. Hinterher gingen wir essen zum Koreaner um die Ecke vom Speersort, wo die Redaktion lag. Zum ersten Mal in meinem Leben aß ich rohen Fisch und spülte ihn mit Schnaps herunter. Angenüchtert und lebensprall gingen wir in die Redaktion. Meine Güte, war das schön. Neben Ted fühlte ich mich großartig.

19 Jahre lang war Ted Sommer Chefredakteur der „Zeit“. Das Blatt verstand sich als Ratgeber der Regierung und wurde so gelesen. Die Auflage stieg und stieg, erreichte die 500 000. Die goldenen Jahre von Ted und der Gräfin (Marion Dönhof) waren der Kalte Krieg, die bipolare Welt und das geteilte Deutschland – eben die alte Bonner Republik. Mit der DDR ging diese wunderbare „Zeit“ unter. Wie paradox und doch so folgerichtig.

Noch eine kleine Geschichte, so typisch für Ted: Vor vier Jahren trafen wir uns zum Abendessen. Ich freute mich riesig darauf, ihn zu sehen und war zu früh da. Er kam herein, hinkend am Stock. Oh Gott, dachte ich, er ist 88 und jetzt wird er wirklich alt, wie traurig. Wir begrüßten uns und ich sagte zu ihm: Ted, was ist passiert? Er grinste und sagte: Beim Joggen, Kreuzband angerissen. Beim Joggen. Mit 88.

Nun ist Ted tot, und ich dachte doch, er würde ewig leben, so unverwüstlich wie er war. Er stürzte schwer im eigenen Haus, inoperabel. Schlimme Schmerzen, wie trostlos. Und wie so oft erscheint der Tod als Erlösung von den Übeln dieser Welt. Um ihn, um Ted, muss man einfach weinen.