Ich schaue seit Jahren bei großen Turnieren zu, damit ich sehe, welchen Fortschritt der Frauen-Fußball macht. Diesmal handelte es sich um einen Quantensprung, nicht um messbaren Fortschritt. Eine 6 wie Lena Oberdorf habe ich noch nicht gesehen; von ihr kann sich Kimmich einiges abgucken. Die Kombinationen von Gwinn/Huth/Däbritz an der Außenlinie entlang waren vom Feinsten. Die Flankenkäufe, die Flanken, die feinen Tore aus dem Lauf heraus, ich habe Bauklötze gestaunt und mich irrsinnig erfreut an diesem variablen, technisch gekonnten Spiel.
Am Sonntag saßen wir zu viert fiebernd vor dem Fernseher. Ich hatte natürlich auf die Revanche für 1966 gehofft, als Geoff Hursts Lattenknaller als Tor galt. Unverständlich! Hat leider nicht ganz hingehauen, aber was für ein Spiel! Eine Spielerin wie Alessia Russo habe ich überhaupt noch nie gesehen. Eine Brecherin! Eine Dampfwalze! Ein schönes Tor und ein gestochertes, na gut, das war’s eben.
Beim Quantensprung kommen die Schiedsrichterinnen nicht mit. Die Ukrainerin war vom Ganzkörperfußball der Engländerinnen überfordert. Sie hätte den Deutschen einen Elfmeter geben müssen; die Video-Schiedsrichterin muss gerade abwesend gewesen sein. Sie hätte den Engländerinnen einen Elfmeter geben können. Beides hat sie nicht, also ausgleichende Ungerechtigkeit. Ich bin gespannt, wer im nächsten Jahr bei der Weltmeisterschaft pfeifen wird. Da müssen Sonderlehrgänge eingerichtet werden oder Männer sollten pfeifen.
Natürlich war es Pech für die Deutschen (Deutschinnen?), dass Alexandra Popps Muskel zwickte. Lea Schüller hatte noch Corona in den Knochen; ihr fehlte die Leichtigkeit, mit der sie sonst beliebig Tore schießt, schade. Dazu war Klara Bühl infiziert, doppeltes Pech, das hatten aber auch andere Mannschaften. Das deutsche Spiel florierte gegen England nicht so gut, wie in den Spielen zuvor. Sie vermochten sich nicht so leicht zu befreien und verloren zu viele Bälle im Mittelfeld. Na ja, die Gegnerinnen waren eben auch verdammt gut.
Kein Grund zur Klage. Eine phantastische Mannschaft hat den schönsten Fußball gezeigt und die Zuschauer in Begeisterung versetzt, auch uns Vier am Fernseher. Dass müssen die Männer ihnen erst einmal nachmachen. Ich hoffe, dass ihnen die Frauen die Überheblichkeit ausgetrieben haben.