Fundstück: Karl Valentin

Heute habe ich einen Satz in der Zeitung gelesen, in dem Karl Valentin zitiert wird. Karl Valentin (1892-1948): Komiker und Volkssänger, das sind präzise, altertümliche Beschreibungen, heute würden wir sagen: bayerischer Comedian. Ich würde sagen: Sprachwunder mit einer Vorliebe fürs Paradoxe.

Der Satz lautet: Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.

Wie so häufig steckt in solchen Sätzen eine ganze Welt. Auf das Ich kommt es nicht an, draußen in der Welt herrschen eigene Gesetze, auf die kein Mensch Einfluss üben kann. Dabei ist die Natur, der Regnen, nur eine Metapher für Geschichte. Die Geschichte ereignet sich, egal was das Ich davon hält. Sie ist das Fremde, Kalte, vielleicht auch mal das Warme, aber immer ist sie unabhängig vom Ich.

Heute tun viele so, als sei es anders. Als käme es auf sie an. Jeder beliebige Politiker oder Autor oder Niemand wird so zitiert: Ich will. Ich will, dass die Ukraine Waffen bekommt (Anton Hofreiter). Ich will, dass Putin den Krieg verliert (Annalena Baerbock). Ich will, dass daraus kein Atomkrieg entsteht (Olaf Scholz).

Philosophisch nennt man diese Haltung Solipsismus: Ich behaupte, es kommt auf mich an, die Dinge haben sich nach mir zu richten. Ich will, dass es regnet. Ich will, dass es nicht regnet. Mein Wollen regiert die Dinge.

Die Ich-will-Menschen würden Karl Valentin Opportunismus vorwerfen. Er passt sich an. Er hat keine Wünsche, keine Träume. Er behauptet, dass es einfach regnet, ob er es so will oder nicht. Er fügt sich der Welt ein. Sein Ich ist reduziert auf das Machbare, Erwartbare. Paradoxien sind die Ausflucht der Realisten. Mehr bekommen sie nicht hin. Sind sie nicht arm, eingeschränkt, diese Auf-mich-kommt-es-nicht-an-Menschen?

Man kann es aber auch so sehen. Wer zwei Weltkriege erlebt hat, und Valentin war schon beim Ersten erwachsen, wer in Bayern das Ende der Monarchie, Anarchie, Revolutionen, Hyperinflation, Hitler-Putsch, Freikorps-Morde, den Aufstieg der Nazis mitgemacht hat, dann die bedingungslose Kapitulation, das Nachkriegs-Elend, der Nachkriegs-Hunger, die Besatzung usw.: Ja, dem sind die Illusionen ausgegangen und der Rückzug auf das Überlebensnotwendige ist konsequent. Der besinnt sich darauf, dass er in das Rad der Geschichte nicht eingreifen kann, dass er nicht so tun kann, als käme es auf ihn an, und dem sind die Ich-will-Sätze versiegt, wenn er sie denn jemals im Repertoire gehabt haben sollte.

Das Moralisieren in Kriegszeiten ist eine gefährliche Eigenschaft. Es geht nicht darum, was ihr wollt, es geht darum, was Putin will, denn auf ihn kommt es an, nicht auf euch. Es regnet Bomben, wenn er es will. Es gibt Frieden, wenn er nicht weiter weiß.

Weniger Solipsismus, bitte.