Die Linke und der Krieg, das ist eine sehr lange, sehr unglückliche Geschichte, die sich gerne auch um Russland drehte. Im Ersten Weltkrieg spaltete sich die SPD in Patrioten und Pazifisten. Aus den Pazifisten ging die USPD und auch die Kommunistische Partei hervor, die in Russland seit 1917 ihr Jerusalem fand. Vor Hitlers „Machtergreifung“ hätte sich die deutsche Linke wieder vereinigen können, was sie aber nicht tat; im Gegenteil sahen sie im anderen den Erzfeind. So hatte Hitler freien Lauf und sperrte ins KZ, wen er aufgreifen konnte, Kommunisten wie Sozialisten und Sozialdemokraten.
Die Kommunistische Partei existiert noch in Frankreich, aber nicht mehr in Deutschland, wo es zwar die Linke gibt, die jedoch eher harmlos und zudem herzlich miteinander verfeindet ist.. Geblieben ist die SPD in der Doppelgestalt von Patrioten und Pazifisten, von Russland-Verächtern (neuerdings) und Russland-Verstehern. Dafür sprechen einige Einlassungen vom Wochenende Bände.
Mit besonderem Interesse habe ich die ausführliche Geschichte einer Reporterin der „New York Times“ nach ihrem Besuch bei Gerhard Schröder in Hannover gelesen. Seltsam genug, dass eine amerikanische Tageszeitung zu ihm vordrang und keine deutsche, aber egal. So viel vorneweg: Schröder geht nicht in Sack und Asche, im Gegenteil, „für mea culpa bin ich nicht zu haben“, sagt er.
Gern und viel erzählt er über seine unverbrüchliche Freundschaft zu Putin. Am 9. Dezember 2005, da war er seit 17 Tagen nicht mehr Bundeskanzler, bekam er einen Anruf von Wladimir Putin, der ihm den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden bei Nord Stream mit der Frage anbot: „Hast du Angst für uns zu arbeiten?“ Hatte er damals nicht und hat er heute nicht. So spottet er über die Zumutung der SPD, er solle sich persönlich von Putin, dem Kriegstreiber, distanzieren.
Kurz vor der Invasion traf der Gerd den Wladimir in Sotschi. Davon gibt’s ein Handy-Foto, das Schröder der Reporterin zeigt: Putin in rotem Eishockey-Dress, Schröder in Hemd und Jackett. Worüber sie geredet haben? Über Fußball, sagt Schröder in seinem Büro in Hannover. Ehrlich jetzt?
Ich kenne Schröder seit vielen Jahren. Seine Härte, sein Gleichmut, sein Durchstehvermögen haben mir imponiert. Die Schnoddrigkeit weniger, die im Alter noch zunahm. Nun ist daraus Gleichgültigkeit, gepaart mit Zynismus hervorgegangen. Der Mann, der immer Abhängigkeiten abschüttelte, ist gefangen in der Abhängigkeit von Putin, der ihn reich gemacht hat, worauf es Schröder zweifellos ankam, und für den er alles aufs Spiel setzt, was ihm ehedem wichtig war.
Seine Reise nach Moskau, ein Wunsch der ukrainischen Regierung, führte zu rein gar nichts. Grübeln über den Misserfolg? Fehlanzeige. Der Krieg? Ja, den verurteilt Schröder, aber nicht Putin, der ihn anzettelte. Die Gräuel von Butscha? Müssen untersucht werden, keine voreiligen Schlüsse. Und wenn russische Soldaten sie verübt haben sollten, hat sie Putin bestimmt nicht angeordnet, sagt Schröder im Brustton der Überzeugung.
Meint er, was er da sagt? Jedenfalls riskiert er den Bruch mit Putin nicht. Dafür wäre es für den dritten sozialdemokratischen Kanzler ohnehin zu spät.
Der amtierende Bundeskanzler gab dem „Spiegel“ ein Interview. Die Fragesteller machten sich die Vorwürfe des ukrainischen Botschafters zueigen und Olaf Scholz schmetterte sie allesamt ab. Dummerweise fragten sie nicht weiter, als der Kanzler seine Angst vor einem Atomkrieg wiederholte. Es wäre natürlich wirklich interessant zu wissen, ob sie vorgeschoben ist oder echt. Ich vermute, sie ist echt.
An Scholz lässt sich viel herumkritteln. Ja, arrogant wirkt er. Ja, er lässt manches Mal zu deutlich seinen Informationsvorsprung spüren. Doch eines kann man ihm schlechterdings nicht absprechen: seine Ernsthaftigkeit, die der Weltlage überaus angemessen ist. Ich finde es sehr merkwürdig, dass so viele Kommentatoren vergessen zu haben scheinen, dass Putin mehrmals mit dem Einsatz seiner Nuklearwaffen gedroht hat. Denn falls seiner Armee auch die Eroberung der Ost-und Südukraine misslingen sollte, wäre ihm durchaus zuzutrauen, dass er seine Drohung wahrmacht.
Zu oft hat der Westen in der Vergangenheit nicht richtig hingehört, was Putin sagte. Was aber dann, wenn er tatsächlich eine taktische Atomrakete abschießt? Wie würde die Nato darauf reagieren? Wo steht dann die Supermacht Amerika? Wo Deutschland?
Ich finde, dass der eine oder andere Politiker, der sich im Schnellstudium zum Ukraine-Fachmann und Panzer-Kenner hinauf katapultiert hat und jetzt schnellstens schweres Bundeswehr-Gerät liefern möchte, kurz mal innehalten und die Folgen bedenken sollte. Bedenke deine Mittel, ist ein gutes militärisches Motto, vor allem für Zivilisten wie Anton Hofreiter, die den Kanzler für seine Zurückhaltung aufs Schärfste maßregeln.
Kriege sind immer unberechenbar. Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen, sagen Militärs selbstironisch. Fast immer kommt es anders als vorgesehen. Konventionelle Kriege, die Atommächte wie Russland führen, sind absolut unberechenbar. Geht es auf dem Schlachtfeld nicht recht voran, bleiben ihnen andere Möglichkeiten.
Am 9. Mai feiert Russland den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg gegen Nazi-Deutschland. Normalerweise findet dann in Moskau eine Parade statt, in der die militärischen Schmuckstücke vorbeirollen. Man kann sich gut vorstellen, dass Putin bis dahin im Osten und Süden der Ukraine Triumphe vermelden will.
Bis dahin wird auch die Bundesregierung ihren Beschluss verkünden, nun doch Panzer etc. zu liefern. Der Druck in Deutschland und Osteuropa ist einfach zu groß, das wird auch Olaf Scholz einsehen. Er ist kein Pazifist, eher ein Patriot, und vielleicht auch deshalb nicht so hurtig im Umdenken wie die Grünen in seiner Regierung.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.