Gerade habe ich über einen Beruf gelesen, der mir bisher entgangen war. Es handelt sich um einen Windkümmerer, der, was natürlich nahe liegt, einer besonderen Aufgabe nachgeht, die sich nicht sofort erschließt. Die Zusammensetzung des Wortes ist genial: Wind ist gut, wissen wir ja, wir brauchen viel davon, damit er die Windräder antreibt, von denen es bald sehr viel mehr geben soll, wie wir seit dem Auftritt Robert Habecks mit seinen Schautafeln wissen, sonst wird es nichts mit der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien. Und Kümmerer ist sowieso gut. Die Parteien wollen sich neuerdings auch um ihre Verächter kümmern. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind große Kümmerer und schließen im Zweifelsfall diejenigen ein, die sie abschaffen wollen. In der Pandemie sind unsere größten Kümmerer und Kümmerinnen (sagt man so? Man will ja nicht gegen den Comment verstoßen, gegen den Purismus der Puristen und Puristinnen) – sind also die arbeitenden Menschen in den Altenheimen und Krankenhäusern beklatscht worden. Zu schweigen von durchaus bekannten Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, die sich zum Beispiel zu Sterbebegleitern (und -innen) ausbilden lassen. Kümmern als moralisch hochachtbarer Zweitberuf.
Der Windkümmerer berät, überzeugt, moderiert und dient auch schon mal als Blitzableiter. Er tritt immer dann in Erscheinung, wenn eine bayerische Kommune in Gestalt ihres Bürgermeisters auf den verwegenen Gedanken verfällt, Windkraftanlagen in die begnadet schöne Landschaft zu stellen – beziehungsweise dem Gedanken nahe tritt und deshalb in der eigenen Bevölkerung auf entschiedenen Widerstand trifft. Dann also kümmert sich der Windkümmerer um Ausgleich und Vermittlung der widersprechenden Interessen. Keine leichte Aufgabe.
Nun tritt Bayern ohnehin nicht mit massenhaften Bauwünschen nach Windrädern hervor, eher im Gegenteil. In den beiden vergangenen Jahren gingen je acht Windräder in Betrieb, mehr nicht. Das ist kein Zufall, denn dort gilt die 10-h-Regel, wonach der Abstand bis zur nächsten Wohnsiedlung das Zehnfache der Höhe der Anlage betragen muss. Ist die Anlage 200 Meter hoch, soll sie 2 Kilometer entfernt stehen. Einerseits gilt diese Regel, andererseits gilt sie nicht.
Jedem Bürgermeister (und jeder -in) steht es nämlich frei, in seinem/ihrem Stadt- oder Gemeinderat einen Beschluss über einen geringeren Abstand zwischen der Stadt oder dem Dorf und der Anlage herbeizuführen. Da Konflikte drohen, wie jeder ahnt, sobald ein solcher Beschluss gefasst ist, haben sich sieben Gemeinden in Oberbayern zusammen geschlossen und der Dienste Peter Beermanns versichert. Beermann hat Fachkenntnis, denn er besitzt in München ein Planungsbüro für Windanlagen. Eine Ausschreibung des Freistaates gewann er und so ist er nunmehr der Windkümmerer für die sieben oberbayerischen Gemeinden.
Wer ein Planungsbüro betreibt, dürfte der Erzeugung von Strom durch Wind nicht gänzlich abhold sein. Die 10-h-Regel hält Beermann für überdimensioniert. Gälte eine 3-h-Regel – folglich 600 Meter Pflichtabstand –, wäre schon viel erreicht und Robert Habeck glücklich. Der bayerische Sonderweg ist aus Beermanns Sicht jedoch nicht allein verantwortlich für das Hinterherhinken, es gibt ja auch noch den Artenschutz, der zwar notwendig sein mag, aber jede Planung um mindestens ein Jahr verzögert, wobei dann zumeist die Klagen der Verbände eintrudeln und die Genehmigung in die Länge ziehen. Der Milan und der Schwarzstorch sind besonders gefährdet.
Meine Weisheit entstammt einem vorzüglichen Artikel der FAZ vom Donnerstag. Sein Titel: Zwei Prozent. Er erzählt, wie komplex der Bau von Windrädern ist, vor allem dann, wenn eine Vorgabe der Regierung fehlt. Wobei wir bei Markus Söder wären, der sich mit der 10-h-Regel die Windanlagen vom Leibe hält, einerseits, sich aber andererseits als grünster aller CSU-Menschen zelebriert. Darin steckt jedoch eine andere Geschichte und damit ein anderer Artikel.
Den Windkümmerer gibt es erst seit einem Jahr. An einer empirischen Grundlage für Erfolg oder Misserfolg mangelt es deshalb noch. Die sieben Gemeinden sind geneigt, Windräder aufzustellen. In diesem Bestreben sind sie unterschiedlich weit. Eine prüft noch, ob eigentlich genug Wind herrscht, in einer anderen ist schon das Vermittlungsverfahren eröffnet. Arbeit für den Windkümmerer, versteht sich.