Vier Leben und hellwach bis zuletzt

Mit 88 saß er in einer Sendung bei Markus Lanz und erzählte, dass er in deutsche Schulen ging, um über Schuld zu reden. Das war vor fünf Jahren, und Hardy Krüger sah so beneidenswert aus wie immer: Hellwach die blauen Augen, das Haar noch voll und leicht verstruppelt, aber nicht so kunstvoll wie bei Boris Johnson. Das Blond war dem Weiß gewichen, so ist das nun mal im hohen Alter, das ihm äußerlich ansonsten erstaunlich wenig anhaben konnte. Er erzählte aus seinem Leben und er hatte einiges zu erzählen. Das Arrogante, das ihn wie ein Strahlenkranz als Filmstar umgeben hatte, war nicht ganz gewichen, in der Stimme klang sie immer noch an.

Hardy Krüger besaß eine deutsche Biographie wie aus dem Bilderbuch, Schrecken inbegriffen, Schuld natürlich auch. Im Elternhaus stand eine Büste Adolf Hitlers, den Vater und Mutter verehrten. Konsequent meldeten sie ihren Sohn Eberhard August Franz Ewald mit 13 auf einer NS-Eliteschule an, auf der die Nazis die nächste Generation für die Zeit nach dem Krieg formen und prägen wollten. Bald drehte er seinen ersten Film, Nazi-Propanda, was sonst: „Junge Adler“.

Ein folgsamer Junge seiner Eltern, so sah es aus. Ideologische Kontinuität wie erwünscht. Frühe Schuld könnte man sagen, aber er war ja nur ein Junge. Mit 16 (mit 16!) musste er in den Krieg an der Westfront ziehen. Als er sich in den allerletzten Kriegstagen weigerte, auf einen amerikanische Spähtrupp zu schießen, verurteilten sie ihn zum Tode. So ging es zu im März 1945, Saboteure und Deserteure töteten sie bis in die allerletzte Stunde. Doch Hardy Krüger blieb dieses Schicksal erspart, weil ein SS-Offizier einen Rest an Anstand besaß. Und so konnte Hardy Krüger desertieren und überlebte.

Es gibt auch die Schuld, die Überlebende empfinden, weil ihnen das Privileg zuteil worden war, zu überleben, wo rings um sie massenhaft gestorben wurde. Davon erzählte Hardy Krüger bei Markus Lanz und in den Schulen, und ich kann mir vorstellen, dass er aufmerksame Zuhörer fand. „Ich bin nicht verführt, ich bin falsch erzogen worden von meinen Eltern,“ sagte er häufig.

Wie viele Leben hat ein Mensch? Als Erwachsener hatte Hardy Krüger mindestens vier. Im ersten Leben war er ein deutscher Filmstar, der nach Hollywood ging und mit den Großen drehte: mit Richard Burton und John Wayne, mit Claudia Cardinale und James Stewart. Oft genug musste er den blonden, blauäugigen Nazi-Offizier spielen, zu dem er nach dem Willen der Eltern werden sollte. Nun machten ihn die typisch deutschen Attribute, es waren die 1960er Jahre, zum Weltstar.

Irgendwann erfüllte ihn das Schauspielern nicht mehr, vielleicht blieben auch die feinen Rollen aus, die ihn fasziniert hätten. Deshalb stieg Hardy Krüger um und begann sein zweites Leben, in dem er Dokumentationen für die ARD drehte, die er „Weltenbummler“ nannte. Darin erzählte er mit seiner sonoren Stimme von fremden Ländern und fremden Gebräuchen. Er reiste umher, traf überall Freunde (tatsächlich fast ausschließlich Männer), die ihm und damit dem Publikum erklärten, warum es dort anders zuging als daheim in Deutschland. Die Reihe gibt es heute noch als DVD.

Hardy Krüger war zum Weltbürger geworden. Er lebte in Hamburg, aber mehr noch in Amerika, zumal seine dritte Frau Anita aus Kalifornien stammte. Sein Sohn, den er auch Hardy nannte, stammt aus der zweiten Ehe mit einer italienischen Malerin. Das Verhältnis zum Vater war, milde gesagt, nicht das einfachste.

Hardy Krüger sen. freundete sich mit Helmut Schmidt an, was beiden ungemein schmeichelte. Er begann sein drittes Leben, das Schreiben von Romanen und Reiseberichten. Keine gehobene Literatur, aber interessant genug, um es auf Bestsellerlisten zu schaffen. Ihm gelang, was überhaupt nicht selbstverständlich ist: So oft er sich auch häutete, blieb er doch immer eine Figur des öffentlichen Lebens, wozu eben Auftritte wie bei Markus Lanz im hohen Alter gehörten.

In seinem vierten Leben wurde er politisch –  zum Demokraten, der gegen die neue Rechte anredete. Er trat der Amadeu Antonio Stiftung bei, wetterte gegen Pegida und AfD, gehörte zu den Gründern der Initiative „Gemeinsam gegen rechte Gewalt“. Den Nimbus, der ihn bis zuletzt umwehte, setzte er für die Demokratie ein. Vor einem Jahr noch sagte er in einem Interview mit dem „Kölner Stadtanzeiger“: „All diese Demagogen von AfD und Pegida, die nun in den Parlamenten sitzen, müssen wieder heraus gewählt werden.“

Das ist nun das Vermächtnis aus dem vierten Leben, das  Hardy Krüger, im stolzen Alter von 93 Jahren gestorben in Palm Springs, uns hinterlässt.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.