Alles Gute, „Spiegel“

Mein altes Blatt ist 75 geworden. Glückwunsch und alles Gute. Ich mag es nach wie vor, auch wenn es sich gewaltig geändert hat. Genauer gesagt, muss ich nicht gut finden, wie es sich geändert hat, aber wäre es so geblieben, wie.es einmal war, wäre der Schrumpfungsprozess noch weiter gegangen.

Ich kam am 2. September 1990 zum „Spiegel“. Als Ressortleiter Innenpolitik. Bonn war noch die Hauptstadt und gerade in den linksliberalen Zirkeln der 68er-Generation war der Glaube verbreitet, daran würde sich nichts ändern. Darüber hatte ich mich schon mit den Kollegen in der „Zeit“ gestritten. Rund um die Wiedervereinigung erwiesen sie sich als die Wertkonservativen, als die Freunde der Unveränderlichkeit der Verhältnisse. Sie bauten darauf, dass die Alliierten auch so dachten und steckten voller Abneigung gegen Kanzler Kohl, so dass sie ignorierten, wohin die Geschichte lief. Daran wollen sie heute nicht erinnert werden, die 68er-Rentner.

„Der Spiegel“ war groß, damals. Sturmgeschütz der Demokratie. Die „Spiegel“-Affäre hatte ihn groß gemacht. Die Aufdeckung von Skandalen und Affären wie „Neue Heimat“, Flick, Barschel etc. hielt ihn groß. Schlagkraft war das Leitmotiv. Feinsinn blieb der „Zeit“ vorbehalten. Im „Spiegel“ gab es die Heranschaffer, die bald Rechercheure genannt wurden, und es gab die Zusammenschreiber, das war die Aufgabe der Ressortleiter in Hamburg. Mächtig waren sie, vor allem intern. Schreiben konnten sie, was die Heranschaffer selten konnten. Eine glasklare Arbeitsteilung. Alle verdienten sie gut, die beim „Spiegel“ angestellt waren, verdammt gut. Von heute auf morgen bekam ich das Doppelte meines „Zeit“-Gehaltes.

Es waren die letzten Tage des Monopols als Nachrichtenmagazin, wobei der Name ein Witz war, denn es ging immer um die Bewertung der Nachrichten, weit mehr als um die Nachrichten selber. In den 1950er Jahren hatte Rudolf Augstein den „Spiegel“ als Kampfblatt gegen Adenauer und Strauß populär gemacht. Gegen Adenauer, weil der Kanzler die Westbindung über die Wiedervereinigung stellte, ein Zug zum Nationalen, der ihn im Alter einholte. Gegen Strauß, weil er von Atombewaffnung träumte und zum Autoritären neigte, was ihn einerseits mit Augstein verband und gerade deshalb von ihm trennte. Peter Merseburger hat über den „Spiegel“ jener Tage ein sehr gutes Buch geschrieben.

Der „Spiegel“ liebte Feinde und suchte sie sich sorgfältig aus. Der „Spiegel“ liebte Freunde und suchte sie sich wahllos aus. Freunde des Hauses schrieb er hoch und wieder runter. Willy Brandt. Helmut Schmidt. Oskar Lafontaine. Joschka Fischer. Gerhard Schröder. Otto Schily. Kurt Biedenkopf. Martin Schulz. You name it.

Ein Segen für das Haus war der Mann, den alle ablehnten: Stefan Aust. Der Verlust des Monopols durch das rasante Aufkommen des „Focus“ kostete einige Chefredakteure den Job. Erst dann konnte Rudolf Augstein diesen Stefan Aust, einen Fernsehmann, als Chefredakteur durchsetzen. Das Haus stand Kopf. Aust sagte anfangs Geniales: Tolles Blatt, große Tradition, an der er unbedingt festhalten wollte. Dann startete er die Revolution, die das Blatt rettete: Farbfotos! Namen! Klare Gliederung! Reporter!

So muss man das machen: Zuerst sagen, alles toll, nichts zu verändern, und dann den Laden auf den Kopf stellen. Davon kann jeder Kanzler, jeder CEO lernen.

Der Tod Rudolf Augstein bedeutete die größte Veränderung. Dass die Redaktion die Hälfte des Ladens besaß und den Chefredakteur bestimmte, stand bis dahin nur auf dem Papier. Am Ende bestimmte einer: der Alte. Als er tot war, musste und durfte die KG sein, was sie besser nie hätte sein sollen. die mächtigste Instanz im Haus. Sie wählte Geschäftsführer und Chefredakteure, die kamen und schnell wieder gingen. Sie griff daneben, korrigierte sich, indem sie wieder daneben griff. Na ja.

Stabil scheint mir der Laden heute zu sein. Opposition will er bleiben und muss er wohl auch, egal wer regiert. Das Starkstromdeutsch nimmt gelegentlich überhand, wie früher auch, vielleicht jetzt öfter, aus Unsicherheit in unsicheren Zeiten. Staatsversagen ist ein ungeheures Wort, das man vorsichtig gebrauchen sollte. Kleiner Hinweis am Rande.

Happy Birthday, altes Haus! Alles Gute und gelegentlich ein feines Händchen.