Wenn einer macht, was er will

Es kommt öfter vor, dass ein Land ein anderes dazu auffordert, gefälligst ein paar Botschaftsangehörige heim zu schicken. Meist handelt es sich um Agenten des Geheimdienstes, die dann eben abgezogen werden, wobei natürlich das andere Land im Gegenzug auch einige Geheimdienstleute ausweist. Business as usual. Die Gründe sind zweitrangig. Die Symbolik ist wichtig.

Nun will Recep Tayyip Erdogan die Botschafter von zehn Ländern zu persona non grata erklären lassen. Diesen erstaunlichen Akt der Undiplomatie verlangt er seinem Außenminister ab und wie die Verhältnisse in der Türkei nun einmal sind, kann sich Mevlüt Çavuşoğlu Unbotmäßigkeit nicht erlauben. Der Sultan bekommt seinen Willen, es sei denn der Sultan ändert seinen Willen. Und ob er seinen Willen ändern wird, behält sich der Sultan vor.

Erdogan nimmt sich, was er will, und er macht, was er will. Mit Selbstherrlichkeit hat er es in internationalen Politik weit gebracht. Im syrischen Dauerkrieg spielt er eine herausgehobene Rolle, in Afghanistan bietet er sich als Vermittler an, wofür die Taliban ihm Dankbarkeit zollen. In der islamischen Welt dient die Türkei immer noch als Vorbild für einen funktionsfähigen Staat, wobei die Wendung zur Autokratie nicht etwa als Problem betrachtet wird, sondern als Lösung.

Erdogan ist das Äquivalent zu Wladimir Putin. Beide träumen von der Renaissance früherer Größe, des osmanischen Reiches hier und des kommunistischen Imperiums dort. Beide besetzen ein Vakuum, wo immer es sich auftut, sei es in Syrien oder Libyen oder Afghanistan. Beide schätzen Europa gering und versuchen es zu schwächen.

Putin besitzt Öl und Gas. Erdogan gibt 4,1 Millionen Flüchtlingen eine Heimstaat, wofür ihm das westliche Europa dankbar ist und sechs Milliarden Euro überweist. Für beide dient das, was sie haben, als Mittel zur Erpressung.

Nicht zufällig sind Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Österreich unter den 10 Ländern, die Erdogans Zorn auf sich ziehen. Jeder von ihnen wird seinen Protest gegen Willkür und Anmaßung genau wägen, damit der Konflikt nicht völlig entgleist und die Türkei wieder eine größere Zahl an Flüchtlingen über die Grenze zu Griechenland schickt.

Wie Putin sucht sich Erdogan Menschen oder Organisationen aus, die er zu inneren Feinden erklärt und verfolgt. Vor fünf Jahren war es die Gülen-Bewegung, deren angeblicher Putsch ihm zum Alibi diente, die Polizei, das Militär, die Schulen und Universitäten zu säubern und Tausende ins Gefängnis zu werfen. Diesmal ist es ein Einzelner, den Erdogan aus politischen Gründen persönlich vernichten will.

Osman Kavala ist ein Unternehmer, Mäzen und Bürgerrechtler. Dass Erdogan ihn mit George Soros vergleicht, ist schon richtig, aber selbstverständlich dient ihm der eigentlich honorige Vergleich zur Denunziation. Vor kurzem sprach ein Gericht Kavala frei, was eine Sensation war, denn wer in der Türkei vom Präsidenten zum inneren Feind erklärt wird, ist eigentlich verloren.

Der Freispruch hat nun Folgen: Einerseits für die Richter, die sich frevelhaft eines Urteils enthielten, denn jetzt lässt Erdogan gegen sie  ermitteln. Andererseits für Kavala, der nicht etwa aus dem Gefängnis entlassen worden ist, sondern sofort wieder vor Gericht gestellt wurde, jeder Rechtsprechung zum Hohn und mit der Aussicht auf lebenslange Haft.

Deshalb intervenierten die Botschafter der USA, Frankreichs, Kanadas, Dänemarks, Deutschlands, der Niederlande, Norwegens, Schwedens, Finnlands und Neuseelands und forderten in einer Erklärung dazu auf, Kavala sofort freizulassen. Gut so, richtig so!

Der Sultan war nicht amüsiert. Dem Sultan ist nach Rache für die Einmischung in seine Angelegenheiten.. Dass er mit seiner Diplomatenmassenausweisung weltweit Aufsehen erregt, mag ihm Satisfaktion genug sein. Denn selbst er dürfte in Kürze zur Einsicht gelangen, dass in seiner Maßlosigkeit übertrieben hat. 

Veröffentlicht auf t-online.de, gestern.