Es gibt diesen klugen Satz, wonach die Menschen nicht an ihrer Intelligenz scheitern, sondern an ihrem Charakter. Dafür ist nun ein herausragendes Beispiel gefunden: Sebastian Kurz, das Wunderkind der österreichischen Politik, der bei der Ankündigung seines Rücktritts Bemerkenswertes zu sagen hatte: Er sei auch nur ein Mensch mit seinen Fehlern.
35 Jahre alt und doch ein Mensch: Wer hätte das gedacht?
Fehler haben wir alle. Aber es kommt schon auf die Fehler an, die wir begehen, auf deren Grad und Ausmaß. Und da kommt im Fall des Sebastian Kurz anscheinend einiges zusammen, das sich zu einer Höchststrafe von zehn Jahren addieren könnte.
Könnte. Denn wir sind in Österreich, in dem offenbar besondere Verhältnisse herrschen. Sebastian Kurz hat im Grund nicht geleugnet, dass die eine Hand die andere gewaschen hat – der eine schaltete Anzeigen, der andere lieferte freundliche Berichterstattung. So ist der Brauch, soll das heißen, das machen doch alle.
Das stimmt sogar. Rund 200 Millionen Euro geben staatliche Stellen pro Jahr für Anzeigen aus: Ministerien, staatsnahe Firmen und Organisationen, eben jeder. Und was alle machen, nicht wahr, das kann nicht kriminell sein. Ein wunderbarer Zirkelschluss, der den Rücktritt vermeiden sollte, aber am Ende nicht konnte.
Vielleicht ist es das Höfische, dass sich in diesem kleinen Land, in dem jeder jeden kennt, in die Demokratie gerettet hat. Sebastian Kurz war der junge Kaiser, um den sich viele Höflinge gruppierten, die ihm zu Diensten waren. Sie stiegen mit ihm auf. Sie ordneten sich ihm unter. Sie erledigten das Notwendige. Sie bildeten das System Kurz, in dem Macht das Zentrum bildete und Überzeugungen von gestern waren. Nur waren der Kaiser und sein Hofstaat vor lauter Überheblichkeit ausgesprochen unvorsichtig.
In diesen unfassbar vielen SMS, die sie sich in geradezu selbstmörderischer Manier schrieben, ragt eine heraus. Geschrieben hat sie Thomas Schmid, ein Kurz-Buddy, der mit der Führung der Staatsholding Öbag belohnt wurde und seit seinem erzwungenen Rücktritt wie vom Erdboden verschluckt ist. Dies sind seine erhellenden Worte über das Geschäft Anzeigen gegen Willfährigkeit: „So weit wie wir bin ich noch nie gegangen. Geniales Investment. Wer zahlt, schafft an. Ich liebe das.“
So ähnlich ließ sich Christian Strache auf Ibiza ein, als er der Nichte eines russischen Oligarchen in einer Villa gegenüber saß, die gar keine Nichte war, und ihr vorschwärmte, was eine noch engeres Band zum Boulevard politisch möglich macht. Die Veröffentlichung des Videos war selbst für österreichische Verhältnisse grottenpeinlich und kostete Strache das Amt, was der natürlich als große Ungerechtigkeit ansah.
Jetzt ist Sebastian Kurz nicht mehr Kanzler, sondern ein Mann namens Alexander Schallenberg, der bis gestern noch Außenminister war. Kurz aber bleibt Vorsitzender seiner ganz auf ihn ausgerichteten Partei und wird dazu auch noch Fraktionsvorsitzender. Er bleibt, was er seit Jahren ist, die Spinne im Netz, in dem alle anderen hängen.
Bleibt er? Das hängt davon ab, ob die Staatsanwaltschaft genügend Material für eine Anklage zusammentragen kann.
Jedenfalls reicht der Stoff, der aus den Akten kommt, jetzt schon zur Rekonstruktion des Aufstiegs. Danach kamen manipulierte Umfragen in die Zeitung „Österreich“ der Brüder Fellner. Dafür ergingen Anzeigen, die das Finanzministerium unter falschem Vorschein finanzierte. Und dann ging es ganz schnell. Außenminister. Parteichef. Bundeskanzler. With a Little help of his friends.
Die Ironie der Geschichte besteht darin, dass Sebastian Kurz das anrüchige Gegengeschäft gar nicht nötig hatte. Er wäre ohnehin aufgestiegen. Er war einfach allen anderen überlegen. Schon damals war er, smart und jung, der Darling des Boulevards. Er hätte warten können. Er wollte aber nicht abwarten, bis ihm zufiel, was er haben wollte. Er ließ nichts reifen, geschweige denn sich selber. Er beschleunigte den Aufstieg, machte sich angreifbar und war gestern nicht mehr zu halten.
Ungeduld kommt vor dem Fall. So kann es gehen, wenn der Charakter so weit hinter der Intelligenz zurück bleibt.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.