Robert Habeck und Markus Söder haben mehr gemeinsam, als sie je geahnt haben. Beide wurden nicht, was sie gerne geworden wären. Beide haben gejammert und beide wirken heute so, als seien sie weitgehend mit sich im Reinen. Der Grund für die Katharsis drängt sich unschwer auf: Die beiden, denen sie weichen mussten, sind angeschlagen. Söder teilt mit Habeck die Genugtuung, dass es jetzt heißt, sie wären die besseren Kandidaten gewesen.
Auch inhaltlich sind sie sich gelegentlich erstaunlich nahe. „Wertegeleiteten Realismus“ empfiehlt Habeck Deutschland als Lehre aus Afghanistan. Diesen nicht ganz neuen, aber wirkungsvollen Begriff griff Söder sofort auf und wird ihn vermutlich in Kürze selber anwenden.
Nähe und Ferne der beiden Verlierergewinner ergaben sich gestern beim Duell unter dem hübsch ironischen Titel „Die einzig wahre Wahlkampfdebatte“. Vor allem aber redeten die beiden mit wohldosierter Leidenschaft über Sachthemen, stritten über den Sinn oder Unsinn von Steuererhöhungen, wobei Habeck erkennen ließ, dass er dicke Bretter gebohrt hat, um Kompetenz in der Finanzpolitik zu gewinnen. Sie waren sich darüber einig, dass der Staat in der Pandemie vieles richtig gemacht hat und in Afghanistan nicht alles schief gelaufen ist.
Eine plausible Kombination nach dem 26. September ist ja immer noch Schwarz-Grün. Söder wie Habeck würden sicherlich eine tragende Rolle bei Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag einnehmen. Nach diesem Interview habe ich ein gutes Gefühl: Das könnte gehen, wenn sie Gemeinsamkeiten betonten und Trennendes mit wertegeleitetem Realismus bearbeiten. Und nebenbei dürften sich der Markus und der Robert in Kürze duzen.
Ein ernsthaft geführtes Interview, auf Sachliches konzentriert, im Wettbewerb um Ideen, wie Deutschland nach der Pandemie wieder auf die Beine kommt: So soll es sein. Das hat gefehlt. Das gehört zur Demokratie, macht sie sogar aus. Und Respekt im Umgang der Gegner miteinander ist auch erfreulich.
Heute Abend steht das Triell bevor. Triell, na gut, Kunstwort, erfunden für und von RTL, das die Troika Scholz/Baerbock/Laschet vereint, befragt von Peter Kloeppel und Pinar Atalay. Es ließ sich auch ein Politikwissenschaftler; Albrecht von Lucke mit Namen, breit schlagen, die Triells für wahlentscheidend zu erklären.
Richtig ist, dass sehr viele Wähler noch sehr unentschieden sind, wen sie wählen sollen. Richtig ist auch, dass vier Wochen vor der Wahl die entscheidende Phase eingeläutet wird, in der sich Stimmungen und Trends verfestigen werden. Aber richtig ist auch, dass diese Wahl ereignisgetrieben ist: siehe Pandemie, Afghanistan, Unwetter.
Zwei der drei Kandidaten haben Blei an den Füßen. Armin Laschet seit dem bubenhaften Lachen in der Flutkatastrophe. Annalena Baerbock seit ihren eitlen Übertreibungen in ihrem Lebenslauf. Nicht zufällig vergisst sie zu erwähnen, dass sie sich Kanzlerin zutraut. Und Laschet könnte ums Kanzleramt gebracht werden, wenn er nicht endlich die Kurve kriegt.
Was tun, wenn es an Beliebtheit fehlt? Vor den anderen warnen. Die anderen in Verdacht tauchen. Darin ist die CDU geübt, getrieben von Markus Söder, der bekanntlich keinen Bock auf Opposition hat. Also muss sich Laschet reinhängen und Deutschland vor Experimenten mit Regierungen ohne die Union aufs Schärfste warnen. Eine Kanzlerin Baerbock ohne jede Erfahrung? Womöglich Rot-Rot-Grün?
Angeschlagen, wie sie ist, muss Baerbock tun, was sie vermeiden wollte: die Regierung angreifen – wegen der Fehleinschätzung in Afghanistan, wegen der schleppenden Klimapolitik etc, Bleiben die Grünen am 26. September unter 20 Prozent, landen sie etwa auch noch hinter der moribunden SPD, geht für sie die Welt unter und Baerbock ist aus dem Spiel.
Die Schwäche der beiden ist die Stärke von Olaf Scholz. Ihm kann nichts anhaben, was ihm anhängt. Der Cum-Ex-Schwindel ist zu kompliziert für die Reduktion des Komplexen. Der Reinfall mit dem einstigen Dax-Wunderkind Wirecard ist ebenfalls eher Detektivarbeit als Kampagnen-Material. Die SPD holt auch deshalb auf, weil das Querschläger-Duo Esken/Walter-Borjans ein Schweigegelübde abgelegt haben muss, so still, wie es darum geworden ist.
Scholz muss sich im Trielll nur einigermaßen souverän behaupten. Als hanseatischem Stoiker kommt ihm diese Rolle entgegen. Baerbock und Laschet dagegen müssen um sich schlagen, damit es nach Stärke aussieht. Nur eines können wir nicht erwarten: ein auf Sachthemen konzentriertes Triell, das den Wahlkampf aus der künstlichen Erregung über Kleinkram auf die Höhe der Probleme führt.
Eine Vorstellung, was auf dem Spiel steht und was eine Regierung sich vornehmen kann, haben uns Markus Söder und Robert Habeck gegeben. Daran muss sich das Triell messen lassen.
Veröffentlicht am 29.8.21 auf t-online.de.