Die eine Hälfte Deutschlands, der Norden, war weg und kehrt nun heim. Was findet er vor? Ein gepeinigtes Land, das Sintflut und Tod erlitt. Auch ein unlustiges Land, das am zukünftigen Kanzler mit seiner Gabe zum Verheddern keinen Spaß hat. Die andere Hälfte, der Süden, macht sich jetzt auf und kommt dann wieder, wenn die Pandemie wahrscheinlich wieder in Blüte steht.
Die vierte Welle also. Ist halt so. Ist wohl unvermeidlich. Ist vielleicht auch weniger schlimm oder gar tödlich wie Welle 2 oder 3. Wäre vermutlich weniger bedrohlich, wäre das Impfen nicht ins Stocken geraten. Die Frage ist jetzt, was das bedeutet und wie es sich ändern lässt.
Einige Konsequenzen sind ja schon ausgeschlossen worden. Impfpflicht traut sich niemand zu fordern, wäre vielleicht auch rechtlich anfechtbar. Nur mit den Schultern zu zucken, was soll man machen, ist aber auch keine Lösung. Besser hört sich an, fürs Impfen zu werben, indem jeder, der will, einfach ins Impfzentrum spazieren kann, ohne Termin. Und wenn die Menschen nicht ins Zentrum kommen, kann ja das Zentrum zum Menschen kommen: Vielleicht raffen sich dann Menschen, die zu scheu oder zu träge für längere Wege sind, zum Impfen im eigenen Kiez auf, weil sie ja eigentlich nicht grundsätzlich dagegen sind.
Die anderen erreichen weder Werbung noch Bedrohung. Querdenker waren gestern und vorgestern in Berlin unterwegs. Im Konvoi fuhren etwa 100 Autos durch die Stadt. Aus dem Lautsprecher erklangen lockere Sätze vom faschistischen Staat und von den medial verheimlichten Toten durch Impfung. Ehrlich jetzt? Man hört zu, wundert sich und die kalte Wut steigt auf.
Den Wahlkampf hat die vierte Welle noch nicht erreicht. Dass nunmehr wieder Testpflicht für diejenigen Urlauber herrscht, die weder Corona hatten noch doppelt geimpft ist, ist offenbar ohne Streitpotential. Momentan findet ohnehin nichts statt, was den Namen Wahlkampf verdient hätte. Über ihn wird vorrangig geredet und da ging wiederum Markus Söder zuerst im „Spiegel“ und dann im ZDF voran. Er sagte, wie er ist, der Wahlkampf, und wie er sein müsste. Klare Kante, Angriff, basta – eben södermäßig.
Wie immer hat er einerseits Recht und andererseits muss er uns unbedingt beweisen, wie gut er ist – sicher das Urteil, blendend die Rhetorik, die eigentlich nur der mittelfränkische Singsang trübt. Günstig der Kontrast, versteht sich, zu Armin Laschet, der am Sonntag zuvor im ZDF einen kraftlosen Auftritt hingelegt hatte und sich kurz auch noch darauf bezichtigte, in seinem Buch, geschrieben vor 12 Jahren, eine Quelle ungenügend benannt zu haben.
Ach jemine, so weit sind wir schon. Die eine, Annalena Baerbock, ist wirklich beim Abkupfern erwischt worden und entschuldigt sich im „Tagesspiegel“ erneut hingebungsvoll. Und der andere, Laschet, bekommt das große Muffensausen, dass ihn der Plagiatsjäger entlarven könnte, was der aber in richtiger Einschätzung der Sache gar nicht will.
Nur mal so zur Erinnerung: Es handelt sich um Deutschland, das die beiden regieren wollen, nicht um Kleinkleckerland.
Wie geht’s weiter? Grasen wir das Terrain ab.
- Die Unzufriedenheit mit dem Kandidaten Laschet wird bleiben. Hat er Glück, geht sie in Apathie über, denn dass er Kanzler wird, scheint unvermeidlich zu sein. Weiß auch Söder.
- Annalena Baerbock hat das stolze Reden eingestellt, dass sie Kanzlerin werden möchte. Vorerst. Denn der unausgesprochene Verzicht auf den Hochsitz hilft ihr nicht weiter, weil sie Gefangene ihres Anspruch ist. Die Konkurrenz würde ihr sofort vorhalten: Siehst, du traust dich nicht, unerfahren wie du bist. Also muss sie ihr Lied wieder singen: Ich will es und ich kann es.
- Die Kluft zwischen Geimpften und mutwillig Ungeimpften wird rechtzeitig vor der Wahl zunehmen. In Klubs oder Fußballstadien, in Kinos oder Restaurants werden sie die Geimpften vorziehen, was denn sonst. Selbst Getestete dürften dann als unsichere Gesellen gelten, weil sie morgen Corona haben können, auch wenn sie heute negativ sind. Und warum sollte jemand dieses Risiko eingehen und sie einlassen?
- Die Pandemie bleibt ein großes Wahlkampfthema. Die Qualität des zukünftigen Personals auch. Steuern rauf oder runter – bietet sich als Reizthema immer an. Sanfter oder radikaler Wandel beim Klimawandel, das ist die Frage, an der sich entscheidet, wie die Stimmung im Lande ist – und wer regieren darf.
Nichts ist schon gebacken. Überraschungen sind jederzeit möglich. 55 Pandemietage sind es noch bis zur Wahl, eine Ewigkeit.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.