Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, wie sehr sich viele Bilder der letzten Tage in unser Gedächtnis einbrennen werden. Die reißenden Fluten, die Krater, die weggeschwemmten Häuser, die Schlammlawinen, die vielen Toten, die selbstlosen Helfer, aber auch die Gaffer mit ihren Handys, die Rettungskräfte behindern, man glaubt es nicht. Und dann diese herzzerreißenden Geschichten über verlorene Fotoalben und zerstörte Lebensträume, und dabei immer wieder diese demütige Einsicht: Egal, was weg ist, das Haus und das Gut, wenigstens leben wir noch, wo doch so viele Menschen starben und andere noch vermisst werden.
Natürlich geht das Leben immer weiter, und das ist ja auch gut so. Deshalb räumen sie die Häuser auf, schieben Räumpanzer der Bundeswehr Lastwagen aus Gräben, stellen die Menschen Fragen, ob sie wohl die richtigen Versicherung abgeschlossen haben und ob sie wirklich schnell und unbürokratisch etwas von den Millionenhilfen abbekommen, die der Landrat, der Ministerpräsident und der Finanzminister versprechen.
Es gibt auch Trost und menschlichen Zuspruch von Politikerinnen wie Angela Merkel und Malu Dreyer, welche die richtigen Worte finden und denen die richtigen Gesten gelingen. Ähnliches ist ja auch zuverlässig vom Bundespräsidenten zu erwarten, dem der richtige Ton fast immer glückt. So wäre es auch diesmal gewesen, wenn er nicht kurz nach seiner Ich-fühle-euern-Schmerz-Ansprache in Erftstadt beim unpassenden Geplänkel im Hintergrund ertappt worden wäre.
Die weitaus größere Peinlichkeit aber erlaubte sich Armin Laschet, der beim Feixen mit der Zunge zwischen den Zähnen von der Kamera eingefangen wurde. Na klar hat er sich sofort entschuldigt, wie denn auch nicht, aber aus der Welt lässt sich dieser bubenhafte Unernst nicht mehr schaffen. Er wird Laschet durch die Wochen bis zum 26. September wie ein böser Schatten folgen.
Sicherlich sind schon Lippenleser damit beschäftigt, die Konversation zwischen dem Kanzlerkandidaten, dem Landrat und der Unbekannten zu rekonstruieren. Vermutlich waren es harmlose Bemerkungen, einfach so dahingesagt, nichts Zynisches. Was aber haften bleibt, ist das Unprofessionelle, das Unangemessene, das Unernste.
Krisen bringen keine neuen Politiker hervor. Sie verstärken Eindrücke, die wir ohnehin schon von ihnen haben, die sich nun in Freizeitkluft, in Gummistiefeln mit gefurchter Stirn das biblische Ausmaß einer Sintflut begutachten und Informationen aufsaugen, die sie dann in national übertragenen Pressekonferenzen kommentieren. Helmut Schmidt galt schon vor der großen Sturmflut als hanseatischer Macher. Ähnlich Gerhard Schröder damals an der Oder.
Armin Laschet ist nicht als überzeugender Krisenbewältiger in Erscheinung getreten, weder in der Pandemie noch in dieser Sintflut. Er neigt zum Hin- und Herspringen, zum Meinungswechsel. Das kann produktiv sein, war es aber nicht vor Monaten und ist es jetzt erst recht nicht.
Insofern ist Armin Laschet die kongeniale Ergänzung zu Annalena Baerbock, die seit Wochen mit Selbstkorrektur ausgelastet ist. Beide haben die Gabe, einen guten Lauf durch erstaunliche Schwächen zu unterbrechen. Baerbock schoss höher, als ihr gut tat und als sie verdiente. Laschet beruhigte die Wogen durch Passivität und in der Konsequenz kletterte die Union in den Meinungsumfragen hoch.
Beide hätten nur festhalten müssen, was ihnen wie Goldtaler unverdient in den Schoß fiel. Doch der Kandidat wie die Kandidatin neigen zur Unstetigkeit. Kontinuität ist nicht ihr Ding. Deshalb sind sie abhängig von den Fehlern, die der jeweils andere begeht. Dann richtet sich die Aufmerksamkeit, die sich gerade noch unnachsichtig auf Baerbock Ergüssen zwischen Buchdeckeln zielte, wie ein Laserstrahl auf das Lachen des Herrn Laschet in Erftstadt.
Was wir nicht mehr haben, wissen wir ziemlich gut: eine Kanzlerin, die in Krisen wuchs. Weltfinanzkrise. Eurokrise. Pandemie. Was wir bekommen, ist das große Weniger. In Laschet haben wir jemanden, der Sicherheit in Krisen haben sollte, schließlich regiert er das größte Bundesland nicht erst seit heute. Hat er aber nicht. In Baerbock haben wir jemanden, die nicht einmal in kleinen selbstproduzierten Krisen eine glückliche Figur abgibt.
Immerhin hat der Wahlkampf jetzt ein tiefenscharfes Thema gefunden. Die richtigen Worte dafür hat ausgerechnet der fürs Irrlichtern bekannte Horst Seehofer gefunden. Im Interview mit dem „Spiegel“ sagte er: „Niemand kann ernsthaft bezweifeln, dass diese Katastrophe mit dem Klimawandel zusammenhängt. In der Gesamtbetrachtung müsste doch jeder vernünftige Mensch kapieren, dass Wetterkapriolen in dieser Dichte und Heftigkeit kein normales Phänomen in unseren Gefilden sind, sondern Folgen der menschengemachten Erderwärmung.“
Was wir vorher schon wussten, wissen wir nun genauer. Die Phänomene sind auch menschengemacht. Das kleine kanadische Dorf Lytton geht mit sage und schreibe 50 Grad Celsius in die Geschichtsbücher ein. Ahr und Erft erlangen Ruhm mit ihrer destruktiven Kraft. Nimmt man Belgien und die Niederlande hinzu, dann wird klar, dass fortgeschrittene Industriestaaten in Nordamerika und Europa weder den Klimawandel ernsthaft eindämmen wollen noch mit den Folgen leben können.
Armin Laschet hat gestern etwas Richtiges gesagt, nicht so drastisch wie Seehofer, aber immerhin: „Die Häufigkeit und die Wucht solcher Katastrophen sind auch eine Folge des Klimawandels. Den müssen wir hier und weltweit schneller und konsequenter bekämpfen. Das Klima gewährt keinen Aufschub.“
Klingt bürokratisch, stimmt aber trotzdem. Und das ist der Maßstab von jetzt an für die nächste Regierung, egal wer sie stellt. Armin Laschet, ramponiert wie er ist, sollte seine neuen Einsichten nicht so schnell wieder vergessen oder relativieren.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.