In der „Zeit“ hat Robert Habeck sein Herz ausgeschüttet. Er findet es ungerecht, dass er nicht der erste Kanzlerkandidat der Grünen sein darf. Er beklagt, dass seine politische Erfahrung nicht zählt und er sagt, dass der Tag der Nominierung für ihn „der schmerzhafteste Tag in meiner politischen Laufbahn“ war. Kann man verstehen. Kann man?
Das Interview begann am Montag zwei Stunden nach der öffentlichen Verkündigung, dass Annalena Baerbock sein darf, was er nicht sein darf. Robert Habeck stellte sie vor, führte sie ein, überließ ihr dann die Bühne. Ich dachte noch, das fällt ihm bestimmt nicht leicht, aber er macht es gut, souverän und heiter. Was ihn wirklich tief innen bewegte, erzählte er gleich darauf den beiden „Zeit“-Journalisten. Trauer muss der Robert tragen und wir alle sollen wissen, was ihm entgeht und damit auch uns.
Das Interview ist für mich der schlagende Beweis dafür, warum es richtig war, Annalena Baerbock zur historischen Figur der Grünen zu erheben. Robert Habeck ist zweifellos ein bemerkenswerter Politiker, aber er wirkt auf mich oft so, als sei er im Übermaß mit sich selbst beschäftigt, als beobachtete er sich selber dabei, wie er redet und argumentiert und in Talkshows neben anderen Politikern aus anderen Parteien sitzt und sich von ihnen unterscheidet. Nicht zufällig unterliefen ihm Fehler, offenbarte er Wissenslücken und fiel im Rennen mit Annalena Baerbock zurück.
Natürlich hat sich Robert Habeck mit seinem Interview einen Bärendienst erwiesen. Er hätte besser geschwiegen, anstatt der „Zeit“ sein Herz auszuschütten. Die Grünen werden es ihm übel nehmen und Annalena Baerbock weiß spätestens jetzt, wo seine Loyalität endet. Ich liebe Was-wäre-gewesen-Fragen: Also, was wäre gewesen, hätte Annalena Baerbock verzichten müssen? Ich glaube nicht, dass sie ihren Jammer zu Markte getragen hätte. Geweint wird daheim, nicht vor anderen.
Interessanterweise haben sich bei den Grünen und in der Union in dieser Woche zwei Protagonisten ähnlichen Typus durchgesetzt. Annalena Baerbock wie Armin Laschet zeichnet Beständigkeit und Hartnäckigkeit aus. Sie nehmen nicht alles persönlich, sonst hätte Laschet die kleine Höllentour, die mehr als eine Woche andauerte, keinesfalls überstanden. Was er über sich lesen und von Söder hören musste, grenzte durchaus an Körperverletzung, aber so sind Machtkämpfe nun einmal.
Menschen dieses Schlags lassen sich nicht unterkriegen, auch wenn Robert Habeck lange Zeit als smarter Schriftsteller mit Hang zum Philosophieren faszinierte. Sie haben einen langen Atem und schießen auf den letzten Metern nach vorne. Beharrlichkeit, ein starkes Selbstbewusstsein und eine Prise Demut begründen einen stabilen Charakter.
Auch die beiden Unterlegenen haben das Entscheidende gemeinsam. Bei Robert Habeck und Markus Söder dreht sich vieles ums Ich. Wenn Söder sagt, die Union müsse „sexy und solide“ zugleich sein, dann verstehen wir ihn richtig, wenn wir denken, dass er sexy und solide sei; würde Armin Laschet das Wort sexy in den Mund nehmen, würden wir uns kringeln. Robert Habeck war lange damit beschäftigt, uns zu versichern, dass er nicht so wie andere Politiker ist und dass er schon gar nicht ein Berufspolitiker. Ist er nicht ganz, das stimmt schon, aber weit davon entfernt ist er inzwischen auch nicht mehr.
Habeck und Söder sind Individualisten und nehmen sich als Person wichtiger als die Sache, die sie vertreten. Damit soll nicht gesagt sein, dass sie schlechte Kanzlerkandidaten gewesen wäre, aber sie sind eben nicht zufällig unterwegs auf Grund gelaufen.
Natürlich braucht ein Land beide Charaktertypen, die Leisen und die Lauten, die Beherrschten und die Selbstbespiegler. Treffen sie aufeinander und treten sie gegeneinander an, fordern sie sich ihr Möglichstes ab und wir erleben ein Drama, das dankbare Gewinner und trauernde Verlierer hinterlässt.