Die Stimmungskiller sind unter uns

Wenn es mit rechten Dingen zuginge, dann hätte die Bundeskanzlerin ihre Pressekonferenz heute nacht mit einer kleinen Demutsgeste begonnen, mit einer Entschuldigung dafür, dass sie wieder über Ausgangssperren, kontaktarmen Urlaub (was für ein Wort!)) und Ähnliches referieren muss. Natürlich liegt der Grund in den steigenden Zahlen, aber mehr noch in all dem, was sie und ihre Kombattanten nicht hinbekommen: das Impfen, das Testen, Zuversicht.

Wir haben Ende April und 9 Prozent der Deutschen sind geimpft. Neun Prozent. Nicht mehr. Der Clown, der Premierminister in England ist, will Mitte Mai die Herdenimmunität erreichen, die Freiheit zurück gibt, anstatt mehr von ihr zu nehmen. Glückwunsch! Das 320-Millionen-Einwohner-Land Amerika ist wohl Ende Mai so weit. Dort impfen sie auf Parkplätzen und wo immer auch Menschen in größerer Zahl versammelt werden können, anstatt an der einmal festgelegten Priorisierung (auch so ein Kunstwort) festzuhalten, weil sie nun einmal festgelegt ist. Alle Achtung!

Beim vorletzten Mal, als Bund und Länder eine Videokonferenz abhielten, sagte Angela Merkel hinterher mit verhaltener Ironie, wir müssten zur deutschen Gründlichkeit ein bisschen Flexibilität hinzufügen. Klang gut. Klang einsichtig. Diesmal aber wird Gründlichkeit durch noch mehr Gründlichkeit ersetzt.

Es geht nicht anders, weil es so ist, wie es ist. Die Infektionszahlen steigen. Menschen sterben und sterben an der Pandemie. Die Logik ist wieder, wie sie immer ist: Wir sollen nicht reisen, uns nicht an Ostern in größeren Zirkeln treffen. Wir sollen aufpassen, uns nicht anstecken, niemanden anders anstecken. Am besten würden, dieser Logik entsprechend, auch wieder die Schulen und Kitas geschlossen. Und wenn die Inzidenz steigt, und das wird sie ja, das ist abzusehen, folgt die Ausgangssperre. Geht noch mehr?

Zur neuen Gründlichkeit gehört es, dass Deutsche, die etwa über Ostern nach Mallorca reisen wollen, als Vaterlandsverräter dastehen, als Wohlstandsflüchtlinge. Der niedersächsische Ministerpräsident Stefan Weil meinte, Mallorca sein ein Stimmungskiller, weil nicht sein darf, dass die einen raus dürfen und die anderen nicht einmal in die Lüneburger Heise fahren können. Das nennt man in der Politik ein gelungenes Ablenkungsmanöver, da nun kurz mal die Empörung und Abscheu auf eine winzige Minderheit gelenkt wird, die auf einer Insel Urlaub mit geringer Inzidenz (20!) machen will.

Der Stimmungskiller ist doch wohl, dass jetzt erst Menschen Mitte 70 mit dem Impfen an die Reihe kommen. Der Stimmungskiller ist doch wohl, dass Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern hinten dran hängt. Der Stimmungskiller ist, dass wir von 150 Millionen Selbsttests reden, die aber noch nicht zur Verfügung stehen. Dass bald Ärzte impfen dürfen, falls sie denn Impfstoff geliefert bekommen. Und auch nicht witzig ist, dass uns viel abverlangt wird, aber nicht der Wirtschaft, die nur freundlich darum gebeten wird, ihre Angestellten doch bitte zu testen. Danke der Rücksichtnahme.

Die Kanzlerin liegt ja meist richtig mit der Einschätzung der Lage. Sie handelt konsequent. Dafür ist sie mit Vertrauen belohnt worden. Mit Geduld. Man könnte sagen, die Deutschen haben in ihrer großen Mehrheit ihren Job getan und sich weitgehend an die Regeln gehalten. 

Nur haben sie in Berlin ihren Job nicht so getan, wie sie es von uns verlangen. Wir sollten mit dem impfen viel weiter sein. Wir wollten darüber nachdenken, mit welchem Konzept mehr Restaurants, Cafés etc. öffnen können, anstatt uns zu fragen, wo wir eigentlich am Ostersamstag einkaufen dürfen. Wir sollten darüber reden, wann es endlich besser wird. Nicht zufällig sagt momentan kein Ministerpräsident und keine Kanzlerin, dass bis zur Bundestagswahl im September 70 Prozent der Deutschen geimpft sein werden. 

Der Frühling kommt und die Stimmungskiller bleiben. Ostern kommt und die Zahl der Infizierten steigt exponentiell, wie es aussieht. Dagegen steigt die Zahl der Geimpften nur langsam, verzweifelt langsam. 

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.