Von Gerhard Spörl
Raus mit dem Alten – her mit dem Gegenteil: Nach diesem Credo wählen die US-Bürger seit Generationen ihren Präsidenten. Ein Vorteil für Donald Trump. Und ein riesiges Problem für Hillary Clinton.
Dieser Artikel erschien am 28.05.2016 um 07.43 Uhr auf SPIEGELOnline.
Zu den Abendeinladungsgesprächen in diesen Tagen gehört die Frage, wie es überhaupt sein kann, dass ein Mann wie Donald Trump zu einem ernsthaften Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufsteigt. Die Antwort ist oft genug schlichter Anti-Amerikanismus. Das hilft immer, man kann dann noch einmal die Enttäuschung über Barack Obama beklagen und an den Vietnamkrieg erinnern. Wenn der Abend fortgeschritten und die fünfte Rotweinflasche geleert ist, landet die Runde unweigerlich bei den Massakern an den Indianern.
Was mir persönlich mehr zu schaffen macht, ist das Gesetz der Serie in den amerikanischen Wahlen. Es besagt, dass gerne das Gegenteil des Amtsinhabers gewählt wird.
Das Gegenteil von Richard Nixon und dessen Vizepräsident Gerald Ford war Jimmy Carter, der fromme und unerfahrene und wohlmeinende Mann aus Georgia.
Das Gegenteil von Jimmy Carter war Ronald Reagan, schon erfahren, mit lässiger Arbeitsauffassung ausgestattet, mit großer Intuition und der Neigung, bedenkenlosen Beratern freien Lauf zu lassen.
Das Gegenteil von Reagan und dessen Vize George Herbert Walker Bush war Bill Clinton, der junge Mann aus einfachen Verhältnissen in Arkansas, eine riesige politische Begabung mit erstaunlichen Charakterschwächen.
Das Gegenteil vom jeweiligen Amtsinhaber ist der neue Präsident |
Das Gegenteil von Bill Clinton und dessen Vize Al Gore war George W. Bush, nicht besonders helle, nicht besonders ambitioniert, dem 9/11 widerfuhr und zu jeder Menge Fehlentscheidungen antrieb, die Amerikas Ruf weltweit untergruben.
Das Gegenteil von George W. Bush und John McCain war Barack Obama, jung und klug und idealistisch gesonnen und mit großem Ehrgeiz, den Fluch zu brechen, der über Amerika lag, weil Republikaner und Demokraten sich gegenseitig lähmten und so das politische System dysfunktional wurde. Wäre er weiß, hätte er mehr erreicht. Da er schwarz ist, radikalisierte sich die weiße Gegenwelt.
Das Gegenteil von Barack Obama ist Donald Trump, der Mann, der Ignoranz für eine Tugend hält, das Produkt des dysfunktionalen Systems, bei dem sich die Republikaner selbst zerstörten, der Mann ohne Scham und mit sadistischer Neigung, Gegner zu zerstören. Womit wir bei Hillary Clinton wären, die auf ihre Weise eine Verlängerung der Ära Obama wäre und also, nach dem Gesetz der Serie, nicht gewählt werden wird.
Für sie wäre es einfacher, das Gesetz der Serie zu brechen, wenn sie nicht Hillary Clinton wäre und die Schwäche der Clintons noch steigern würde: die Neigung zu glauben, dass Regeln und sogar auch mal Gesetze für andere gelten, nicht unbedingt für sie; die Neigung, die verfolgte Unschuld zu spielen.
Hillary Clintons Chancen im November stünden besser, wenn sie sich als die erfahrene und redliche und empathische Alternative zum dümmlichen und politisch gefährlichen Donald Trump darstellen könnte. Das kann sie aber nicht. Erfahren ist sie, doch sie wird zum Beispiel die E-Mail-Geschichte als Außenministerin nicht los, weil sie einen privaten Account zu Amtszwecken nutzte, und diesen Umstand zuerst leugnete und dann mühsam zugab, allerdings nicht den untersuchenden Instanzen Rede und Antwort stand. Typisch Hillary, sagen sie in Amerika resigniert, so verhält sie sich immer, so ist sie. Deshalb gelingt es ihr nicht, auch nur annähernd so viel Enthusiasmus auszulösen wie Obama vor acht Jahren.
Kürzlich stand in der „New York Times“, dass 67 Prozent aller Amerikaner weder Trump noch Clinton für ehrliche Menschen halten. Trump kann das, wie die Dinge liegen, egal sein. Für Clinton bedeutet diese Einschätzung eine Katastrophe. Für sie ist die Zahl auch ein Hinweis darauf, dass 2017 wieder das Gesetz der Serie gelten kann.