Man wird doch wohl mal loben dürfen

Als ich neulich in einer Kolumne die Regierung lobte, schrieb mir ein wütender Leser, ich sei wohl von Helge Braun, dem Kanzleramtsminister, gekauft worden, denn sonst würde ich ja wohl nicht so blöd sein und gegen jeden gesunden Menschenverstand für gut befinden, was objektiv falsch sei. Ich weiß nicht, warum der Leser ausgerechnet den freundlichen Herrn Braun, den ich im übrigen gar nicht persönlich kenne, als Geldverteiler auserkoren hatte. Wahrscheinlich lag es an seinen moderaten Auftritten in einigen Talkshows.

Nichts Ungewöhnliches war passiert. Auch im richtigen Leben mosern wir mal und loben wir mal. Mal finden wir jemanden gut, mal ärgern wir uns über ihn oder sie. Mal bekommen wir Schmähbriefe auf Artikel hin, mal klopft uns jemand auf die Schulter. Alltag eben.

Journalisten sind Menschen, die das Privileg haben, Ereignisse zu beschreiben und zu analysieren, und da Ereignisse menschengemacht sind, urteilen wir über Menschen. Dabei kann die Kritik heftig ausfallen oder das Lob enthusiastisch. Es kommt eben auf die Umstände an. Aus Prinzip nie zu loben, käme mir komisch vor. Prinzipienreiter sind anstrengende Menschen.

Schauen wir uns doch mal die Ereignisse der letzten Tage an. Die Regierung hat ein Konjunkturprogramm verabschiedet. Gut oder schlecht? Ziemlich gut, würde ich sagen, wobei mir besonders das Ausbleiben des Kotaus vor der Automobilindustrie auffiel. Also keine Abwrackprämie, prima. Die Branche war nicht amüsiert. An Selbstherrlichkeit sind die Herren Diess etc. schwer zu überbieten; allenfalls die Atomenergiemanager kamen ihnen nahe, aber mit derem Geschäftsmodell ist es ja länger schon vorbei. Ein Grund mehr, die Kanzlerin und ihren Finanzminister zu loben.

Weiter: Für jedes Kind bekommen die Familien jetzt 300 Euro extra. Eine Art Corona-Bonus für die Eltern im Home Office. Richtig oder falsch? Falsch. Die Prämie sollten Familien bekommen, die es wirklich brauchen. Statt dessen bekommt jeder Kindergeld, der Steuern zahlt, egal wie viel er oder sie dem Staat gibt und auch egal wie viel er oder sie verdient. Das ganze System sollte am ökonomischen Bedarf ausgerichtet werden. Das wäre gerecht, nicht die herrschende Egalität.

Am Samstag knieten die Spieler meines Vereins, das ist der BVB, gemeinsam mit denen von Hertha BSC am Anstoßkreis nieder. Richtig oder falsch? Richtig. Solidarität ist immer gut, auch wenn das Opfer in Minneapolis unter dem Gewicht eines Polizisten starb. Das Schweigen dazu gefiel mir ebenfalls. Rassismus ist in Amerika eine nationale Wunde und gehört auf trostlose Weise zur Geschichte dieses Landes von Anfang an, aber weder Deutschland noch Großbritannien noch Frankreich haben Grund dazu, mit dem dicken Finger nach Minnesota oder New York oder Cedar Rapids zu zeigen. Wahrscheinlich könnte jeder der dunkelhäutigen Bundesligaspieler ein Lied davon singen, wie es früher für sie als Kinder oder Jugendliche war, bevor sie sich durch Reichtum abschotten konnten.

Übrigens ist das Interesse an den Übertragungen der Bundesliga eher mager. Die ARD-Sportschau kommt nur noch auf knapp 20 Prozent, das sind fünf Punkte weniger als vor Corona. Gut oder schlecht? Gut in dem Sinne, dass dieses ganze künstliche Dramatisieren beim Ankündigen der Spiele wegfällt, deren Ergebnis die meisten von uns längst kennen. Ich mag die Pseudo-Aufregung nicht. Deshalb könnten die Zusammenfassung auch dann ohne Gedöns und Tamtam auskommen, wenn die Geisterspiele Vergangenheit sind.

USA: Donald Trump denkt gar nicht daran, sich wie ein normaler Präsident zu benehmen. Normale Präsidenten würden das Opfer der Polizeigewalt beklagen, würden hehre Worte an die Nation richten, würden mit den Angehörigen trauern und Reformen in Aussicht stellen. Trump dagegen droht mit dem Militär. Er verdammt die Demonstranten, die die Ausgangssperre missachten. Er posiert mit der Bibel vor einer Kirche in Begleitung von Ministern und einem General in Camouflage. Ist natürlich falsch, fürchterlich, unentschuldbar. Aber den Rassismus in Amerika hat er nicht erfunden. Er macht ihn sich nur zunutze. Der Ingrimm, mit dem sich manche Blätter auf Trump stürzen, tendiert zur Maßlosigkeit.

Man kann aber auch anders auf die Ereignisse dieser Tage in Amerika schauen: dialektisch. Was Donald Trump für sich nutzen will, kostet ihn die Wiederwahl, die ihm vor Corona und George Floyd schon sicher zu sein schien. Die Niederlage, die nicht zu erwarten war, bereitet er sich selber. Alles Schlechte hat auch ein Gutes.

Zurück in unser Gewerbe: In einem Podcast unterhielten sich Matthias Döpfner und Julian Reichelt über Fehler und Zweifel. Döpfner ist Springer-Vorstandschef, Reichelt ist der „Bild“-Chef, der die ruchlose Kampagne gegen Christian Drosten verantwortete, den Virologen und Berater der Regierung. „Bild“ war einfach zu weit gegangen, weiter noch als sonst. Selbst Friede Springer soll sich intern beschwert haben. Was tun? So entstand die Idee eines Gesprächs mit dem Chef Döpfner, in dem Reichelt unter einem Berg von Worten Fehler einräumte. Gut oder schlecht? Schon gut. Selbstkritik ist aller Einsicht Anfang, vor allem dann, wenn der Chef nachhilft und für Wirkung sorgt.

So geht das in unserem Gewerbe zu, sollten unsere Leser wissen. Wir machen Fehler und geben sie entweder freiwillig zu oder unfreiwillig.

Veröffentlicht auf t-online, gestern