Während wir uns in Geduld üben, um die uns die Bundeskanzlerin bittet, und uns fragen, ob wir denn wenigstens in den Sommerurlaub fahren können, schreiben bestimmt schon etliche Menschen an Büchern über das Leben mit Corona: in Romanen wie in Sachbüchern. Die Rechte an einem Augenzeugenbericht aus Wuhan, der Quelle des Virus, sind schon verkauft.Über die Symptome wissen wir Bescheid, weil wahrscheinlich jetzt schon jeder jemanden kennt, den es erwischt hat oder der es es überstand. An jedem Morgen erfahren wir, wie viele Menschen seit gestern erkrankt und wie viele davon gestorben sind. Wirklich gespenstisch, wirklich surreal das alles.
Deutschland ist gut daran, aber das kann uns auch nicht beruhigen, weil der Infektions-Höhepunkt erst bevor steht, wie uns die Wissenschaftler vorwarnen. Vor Ostern? Nach Ostern? Unsere Regierung hat die richtigen Vorkehrungen getroffen, wir halten die neuen Regeln meistens ein, wir haben ein vorzügliches Gesundheitssystem, wir flachen die Kurve ab, aber das Virus verschont uns trotzdem nicht. Nicht leicht, geduldig zu bleiben.
Wir bleiben im Bann der Lungenkrankheit, solange kein Medikament gefunden wird, das helfen kann. Wann wird es gefunden Bis Weihnachten? Bis nach Weihnachten? Wissenschaftler weltweit fahnden nach einem Impfstoff. Es dauert, sagen sie uns, es zieht sich hin. Und immer sollen wir uns in Geduld üben.
Spätestens dann, wenn alles vorbei sein wird, wird es um Prävention fürs nächste Mal gehen: Wie lassen sich solche Viren vermeiden?
Wie sie entstehen, wissen wir: Sie springen von anderen Säugetieren auf den Menschen über. So war es bei Sars vor 18 Jahren. Tierkrankheiten werden zu Menschenkrankheiten, an denen Menschen sterben.
Donald Trump hat in seiner Ich-nehme-das-nicht-so-ernst-Phase getwittert, Corona sei ein chinesisches Virus. Er meinte damit, Amerika müsse sich nicht davor fürchten. Aus den falschen Gründen hatte er Recht.
Vom Tier auf den Menschen werden Viren auf den Wildtiermärkten übertragen, die in China eine lange kulturelle Tradition haben. Dort werden getötete oder gefangene Tiere verkauft, die von den Käufern meistens gegessen werden. Sars fand im Jahr 2002 seinen Weg über Larvenroller, das sind kleine fleischfressende Wildkatzen, hinüber zum Menschen. Die Larvenroller hatten sich zuvor bei Fledermäusen mit Sars infiziert, bevor sie auf den Markt kamen.
Meine Weisheiten verdanke ich einem Aufsatz, den der Evolutionsbiologe Jared Diamond mit dem Virologen Nathan Wolfe in der „Washington Post“ schrieb und den die „Süddeutsche Zeitung“ nachdruckte. Diamond erlangte im Jahr 2012 mit seinem Bestseller „Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ Weltruhm.
Wildmärkte gibt es nicht nur in China, sondern aus anderswo in Asien und darüberhinaus in Afrika. Ebola entstand im Jahr 2006 unter ganz ähnlichen Umständen in Westafrika. „Es gibt dort lebende Tiere, also liegen dort überall Fäkalien herum. Es gibt Blut, weil die Leute sie dort zerhacken“, sagt Peter Daszak, der Leiter der Organisation EcoHealth Alliance zu den Gepflogenheiten. Das globale Reisen und der globale Handel tragen dazu bei, dass sich eine Infektion sehr viel schneller ausbreitet. China ist ein Sonderfall wegen seiner schieren Bevölkerungszahl.
Noch gibt es keine wissenschaftliche Beweise dafür, dass Covid-19 sich genauso wie Sars verbreitete. Aber die chinesische Regierung geht schon mal davon aus. Denn sie schloss diese Märkte und verbot den Handel mit Wildtieren. Auch das ist ein starker Eingriff in Lebensgewohnheiten. Wildtiere sind für viele Chinesen eine Delikatesse.
So weit, so gut. Allerdings gebe es eine zweite Bezugsquelle für den Handel mit Wildtieren: die traditionelle chinesische Medizin, schreiben Diamond/Wolfe. In ihr sind zum Beispiel die Schuppen des Schuppentieres beliebt, das ist ein kleines ameisenfressendes Säugetier, dem hemmende Wirkung gegen Fieber, Hautinfektionen und Geschlechtskrankheiten zugesprochen wird. Ideale Bedingungen, schreiben die beiden Autoren, dass tierische Mikroben den Menschen infizieren und krank machen und sterben lassen.
An Sars starben weniger als 1000 Menschen, an Ebola rund 11 000. Und an Covid-19?
Die Zahl wird höher liegen, viel höher, das wissen wir heute schon. Und Covid-19 hat viel tiefer in das Gefüge der Welt eingegriffen als jede andere Pandemie. Die langfristigen Auswirkungen können wir heute nur erahnen: politisch und wirtschaftlich, sozial und kulturell. Der Blick und die Zukunft fällt bei Diamond/Wolfe niederschmetternd aus: „Es gibt keinen biologischen Grund, warum zukünftige Epidemien nicht mehrere Hundert Millionen Menschen töten und den Planeten in eine jahrzehntelange Depression stürzen könnten.“
Muss nicht so kommen, geht auch anders. Wird der Handel mit wilden Tieren dauerhaft verboten, wird das Risiko enorm gesenkt. Die chinesische Regierung müsste eigentlich ein Interesse daran haben, denn sonst entsteht in ihrem Land die nächste Pandemie, die auf andere Kontinente überspringt.
Veröffentlicht bei t-online, heute.