Ab und zu, meistens sehr plötzlich, bekommt Donald Trump einen Anflug von Realitätssinn, zuerst im Nahen Osten und nun auch in der Einschätzung der Lage in der Ukraine. „Wir werden noch weitere Waffen liefern,“ kündigte er an. „Sie müssen in der Lage sein, sich zu verteidigen. Sie werden sehr schwer getroffen.“
Die Ukraine steht Nacht für Nacht unter schwerem Beschuss. Allein im Juni griff Russland mit 5 000 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern Kiew und Charkow, Odessa und Cherson an. Der ukrainischen Armee fehlt es an vielem. Ohnehin grenzt es an ein Wunder, dass sie sich schon seit 1 230 Tagen, Stand heute, gegen die Übermacht an Soldaten und Material verteidigen kann.
Für den Nachschub an elaborierten Waffen sind die USA der Hauptlieferant. Sie verfügen unter anderem über Patriot-Raketen zur Luftabwehr ballistischer Flugkörper, Artilleriegranaten, Hellfire-Raketen und Panzerabwehrwaffen.
All diese Waffen hatten die USA der Ukraine zugesagt. Nun wäre Donald Trump nicht Donald Trump, wenn ihm nicht zwischendurch etwas anderes einfiele. In der vorigen Woche sagte er die Lieferung ab, unter dem Vorwand, das Pentagon muss zuerst einmal Inventur einlegen.
Was letzte Woche galt, soll also jetzt nicht mehr gelten, was natürlich erfreulich ist. Fragt sich nur, ob die gleichen Waffen, die es gerade eben nicht geben sollte, nun doch ausgeliefert werden oder nur ein Teil davon und wenn ja, welcher?
Niemand interessiert sich mehr als Wolodymyr Selenskji für die Waffensysteme zu Land und in der Luft, die aus den USA kommen sollen. Davon kann er gar nicht genug bekommen, was man natürlich in Washington weiß. Im übrigen tut er alles, um in der Sonne des US-Präsidenten zu stehen.
Seine Botschafterin Oksana Markowa gedenkt er abzuziehen, weil es der Wunsch des Herrn ist. Sie zog sich Unmut wegen ihrer Nähe zu Demokraten zu. Seit 2021 ist sie Botschafterin, der Präsident hieß damals Joe Biden. Sollte sie ihn meiden?
Egal. Was Trump will, bekommt er auch. Selenskji lernte nach seinem legendären Rausschmiss wegen mangelnder Dankbarkeit aus dem Weißen Haus dazu – man kann es ihm nicht verdenken.
Die militärische Lage in diesem langen Krieg ist ja auch ziemlich verzweifelt für die Ukraine. Die kombinierten Drohnen- und Raketenangriffe der russischen Luftwaffe zielen auf Energieanlagen und militärische Infrastruktur in den Städten. Im Südwesten rücken russische Truppen langsam und unter großen Verlusten vor.
Wie viele russische Soldaten schon starben, lässt sich nicht genau sagen. Zahlen bleiben unter Verschluss, da es sich ja nur um eine Spezialoperation handelt. In der ukrainischen Armee und Nationalgarde sind vermutlich 470 000 Soldaten kampfunfähig und 43 000 gestorben.
Der Ukraine mangelt es nicht nur an modernen Panzern und Raketen, sondern auch an Rekruten und an systematischer Ausbildung, für die in Kriegszeiten weniger Zeit bleibt. Ihr mangelt es aber nicht an Drohnen, da ihre eigene Rüstungsindustrie imstande ist, Software für elektronische Kriegsführung, für Drohnen und robotergestützte Waffensysteme herzustellen.
Zusätzlich liefert Deutschland 4 000 KI-gesteuerte Drohnen. Dänemark und die Niederlande haben zugesagt, dass sie F-16-Kampfflugzeuge stellen werden. Die Finanzierung übernimmt meistenteils die Europäische Union.
Aus zwei Gründen ist die europäische Unterstützung nicht nur großzügig: Je länger der Krieg andauert, desto mehr Zeit bleibt Deutschland und den anderen Ländern dafür, sich für einen möglichen Krieg gegen ein verbündetes Nato-Mitglied vorzubereiten. Und natürlich findet in der Ukraine ein moderner Krieg statt, in dem KI und elektronische Software die Rolle der Zukunft spielen. Deshalb beugen sich die Strategen von morgen über den Krieg heute.
An diesem Donnerstag trifft sich die europäische „Koalition der Willigen“, angeführt von Großbritannien und Frankreich, zur Beratschlagung über den Stand der Dinge in der Ukraine. Tags darauf steht eine Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine an. Man kann nicht behaupten, dass die Europäer zu wenig Solidarität walten lassen.
Wie lange aber die Ukraine in diesem Krieg durchhalten kann, hängt vom Irrlicht im Weißen Haus statt. Wie man weiß, will er es sich mit Wladimir Putin nicht verderben. Die Unterstützung für die Ukraine bleibt deshalb restriktiv und auch unberechenbar.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.