Wie eine Selbstauslöschung

Felix Schmidt , 89, gehörte zu den herausragenden Journalisten seiner Generation. Er war Ressortleiter beim „Spiegel“ und Programmdirektor beim SWR gewesen, bevor er einer von drei Chefredakteuren beim „Stern“ wurde. Er musste für die gefälschten Hitler-Tagebücher geradestehen, obwohl der Vorstandsvorsitzende von Gruner & Jahr im Glauben an eine Weltsensation den Rechercheur Gerd Heidemann mit Millionen für die Beschaffung der 62 Kladden versorgt hatte. Schmidt und Heidemann,91, sind die letzten Überleben der Katastrophe, die den „Stern“ um seinen Ruf brachte.

t-online: Vor 40 Jahren, am 28. April 1983, erschien der „Stern“ mit dem sensationellen Titel „Hitlers Tagebücher entdeckt“. Sie waren damals einer von drei Chefredakteuren. Was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie an diese Tage denken, als Ihr Blatt die Welt in ungläubiges Staunen versetzte?

Schmidt: Ich habe mitgestaunt und gehofft, dass alles gut geht. Denn in Wahrheit hatte ich kein gutes Gefühl bei der Sache, hatte aber nicht den Mut Zweifel zu äußern. Die immer wieder übermäßig bekundete Gewissheit der Vorstandsvorsitzenden Gerd Schulte-Hillen in die Echtheit der Tagebücher ließ keine Zweifel mehr zu.

Und die unfassbare Schmach, als sich herausstellte: 62 Kladden mit schwarzer Tinte – gefälscht?

Meinem Freund Thomas Schröder habe ich kurz vor Drucklegung der Tagebücher meine Zweifel mit dem Satz anvertraut: „Wenn wir einer Fälschung aufgesessen sind, ist die tiefste Stelle der Alster nicht tief genug uns aufzunehmen“. Als die Tagesschau am Samstag, dem 7. Mai, den Rücktritt der beiden Chefredakteure Koch und Schmidt meldete, klang das in meinen Ohren wie eine Selbstauslöschung.

Skurril war ja, dass Gerd Heidemann an der Chefredaktion vorbei mit dem Verlag den Ankauf der Tagebücher abgesprochen hatte. Sie und Ihre beiden Kollegen wurden erst nach geraumer Zeit eingeweiht. Das muss Sie doch fürchterlich geärgert haben.

Ich wollte zurücktreten, aber mein Co-Chefredakteur Peter Koch bat mich um der Loyalität willen zu bleiben. Er sagte: „Wenn die Sache für den ‚Stern‘ ein Erfolg wird, dann ist doch gleichgültig wie wir dazu gekommen sind.“

War der kollektive Wahn, die tollste Geschichte auf dem Erdkreis zu haben, so stark, dass auch Sie Heidemann auf den Leim gingen?

 Offensichtlich ja.

Heidemann bekam die Tagebücher angeblich über einen General der DDR-Volksarmee auf abenteuerlichen Wegen, versteckt in transportierten Klavieren für den Westen. Warum glaubte die gesamte „Stern“-Führung diese wilde Geschichte?

Die Fundgeschichte in der DDR-Gemeinde Börnersdorf, wo im April 1945 tatsächlich ein Flugzeug mit Gegenständen aus dem Besitz Hitlers, darunter angeblich die Tagebücher, auf dem Weg nach Salzburg abgestürzt war, klang glaubwürdig. Denn der Absturz ist nachprüfbar richtig. Die Tagebücher und den Volksarmee-General, der die von Bauern aus den Trümmern geborgenen Kladden im Verwahr habe, wurde von Heidemann in die Geschichte hineingeschmuggelt. Ich kann seinen Namen nicht nennen, sagte Heidemann immer wieder, denn der Mann ist doch hochgefährdet, wenn ich mehr über ihn preisgebe, dann fliegt alles auf. Das war immer schon die Methode Heidemann, seine Stories zu verkaufen. Ein Teil war wahr, ein anderer dazu fantasiert.

Waren Sie zu vertrauensselig? Haben Sie gedacht, wer so viele Millionen ausgibt, wird schon für hinreichende Prüfung sorgen?

Ich habe mich nicht dem Argument verschlossen, dass der Vorstandsvorsitzende von Gruner & Jahr doch erst nach reiflicher Prüfung einem derart riskanten und teuren Ankauf der Tagebücher zugestimmt habe.

Waren Sie informiert darüber, mit welchen Schrift- und Papiersachverständigen und welchen Historikern der „Stern“ die Tagebücher prüfen ließ? 

Peter Koch war der für Politik und Zeitgeschichte zuständige Chefredakteur, ich war für Unterhaltung und Kultur im weitesten Sinne verantwortlich. Im Groben war ich jedoch über die überaus positiven Ergebnisse der einzelnen Prüfungen der Tagebücher informiert. In der „heißen Phase“ war es Koch, der das Verfahren dann bestimmte.

Ihr Kollege Peter Koch, ein studierter Historiker, riss die Geschichte an sich, reiste nach Amerika für die Weltrechte und trat in der berühmten Pressekonferenz als omnipotenter Mr. „Stern“ auf. Wie war Ihre Rolle in diesem Prozess, der sich über zweieinhalb Jahre zog? 

Zum Prozess gegen Kujau und Heidemann wurde ich als Zeuge nicht zugelassen. Das Gericht glaubte, mich meinem Anwalt gegenüber als „kleines Licht in der Angelegenheit Hitler-Tagebücher“ einstufen zu müssen. 

Pünktlich zum 40. Jubiläum erschien eine dreiteilige Dokumentation des SWR, in der Gerd Heidemann im Mittelpunk steht, der Mann, der 9,3 Millionen Mark für die Fälschungen ausgab. Erklären Sie uns diesen Mann in seiner Sonderrolle im „Stern“.

Heidemann, der einst ein Star beim „Stern“ war, ist für die Hitler-Tagebuch-Geschichte kräftig geprügelt und wegen Betrugs verurteilt worden. Ich habe keinen Anlass die Keule erneut herauszuholen. Nur soviel:  Dem Bekunden seines Ressortleiters Thomas Walde zufolge, hatte Heidemann Angst, mit einem höllischen Gelächter abgefertigt zu werden, wenn er mit so einer brisanten Nazi-Geschichte bei den Chefredakteuren auftauche.

Heidemann weigerte sich beharrlich, den Namen seines Kontaktmannes zu nennen. Das ist ungewöhnlich, im Normalfall erfährt zumindest die Chefredaktion, wer die Quelle ist. Warum musste er den Namen Ihnen nicht herausrücken?

Heidemann hat immer wieder bekundet, dass er Menschenleben in Gefahr bringe, wenn er Namen nennen würde. Das wiederholte er auch immer wieder, bis er unter dem Druck der aufgedeckten Fälschung am Samstag, dem  7.Mai, um fünf Uhr morgens mit dem Namen des Fälschers herausrückte: Dr. Konrad Fischer aus Bietigheim-Bissingen. Nach drei Stunden haben wir herausbekommen, dass Dr. Fischer identisch ist mit Konrad Kujau. Später wird zutage gefördert, dass Thomas Walde den Namen Fischer frühzeitig gekannt hat.

Was ein Welterfolg werden sollte, entpuppte sich als Räuberpistole. Wie lange hat es gedauert, bis Sie nicht mehr auf die Selbsthypnose einer ganzen Gruppe von Führungsfiguren unter dem Einfluss eines Rechercheurs mit Nazi-Sentimentalität angesprochen wurden?

Wie dieses Interview zeigt: bis auf den heutigen Tag. Diese Geschichte hängt den Beteiligten ein Leben lang an. Die meisten von ihnen haben den Vorzug, schon tot zu sein.

Die Verlagsführung trug eigentlich die Verantwortung, weil sie die Hitler-Tagebücher zur geheimen Kommandosache erklärt hatte. Aber keiner aus diesem Kreis verlor seinen Job, wohl aber die Chefredakteure, also auch Sie. Löst das in Ihnen heute noch Bitterkeit aus?

 Ja. Über m

ich. Noch wenige Stunden vorher hatte ich in einem selbsthypnotischen Anfall in einer Konferenz verkündet: „Ich war nie sicherer, dass die Tagebücher echt sind.“ Wenn ich auf diese Worte angesprochen werde, möchte ich so schnell wie möglich im Boden versinken.

In der Dokumentation ist immer wieder Gerd Heidemann, 91, in seinem Archiv inmitten von Nazi-Memorabilia zu sehen. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf? 

Was für ein großartiger Museumswärter!

Am 28. April 1983 erschien der „Stern“ in einer Auflage von 2,4 Millionen mit einer Geschichte, in die er 9,3 Millionen Mark investiert hatte. Es waren die goldenen Zeiten des „Stern“, der danach abstürzte. Lässt sich heute jüngeren Menschen erklären, was sich damals ereignete?

Ich kann es nicht. Denn ich müsste erklären, wie leicht Wahn, Mystifikation und Geld die Vernunft erwachsener, halbwegs gebildeter Menschen außer Kraft gesetzt hat. Und ich müsste über meine unverzeihliche Mutlosigkeit gegenüber übergriffigen Vorgesetzten sprechen.

Herr Schmidt, danke für dieses Gespräch.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.