Was soll das?

Es ist ja nicht weiter verwunderlich, dass etliche Menschen Gedanken wälzen, wie es mit der Ukraine weitergehen wird. Je länger der Krieg andauert und je weniger sich Land mit den jeweiligen Offensiven erobern lässt, desto drängender stellen sich Fragen nach der Zukunft dieses geschundenen Landes.

Wie es seine Art ist, prescht Emmanuel Macron furios vor. Der Vorzug besteht darin, dass seine Urteile und Ideen immer blitzblank ausfallen. In seiner klirrenden Klarheit ist er dem auf Konsens bedachten Pragmatismus deutscher Provenienz haushoch überlegen. Entweder hat er groß recht oder er liegt groß falsch. Gehirntot nannte er die Nato vor dem Einfall der russischen Armee in die Ukraine. Egal, jedenfalls hat Putin sie wach geküsst. Nach seiner China-Reise riet Macron ultimativ  Europa von einer Einmischung in die künftigen Konflikte zwischen China und Amerika ab. Na ja, an militärische Intervention in einen Krieg um Taiwan war ohnehin nicht gedacht, oder? Aber an moralischer und politischer Unterstützung käme Europa dann wohl kaum vorbei.

Auch Macrons neueste Initiative hat es in sich. Der französische Präsident drängt Xi Jinping zur Friedensvermittlung in der Ukraine. Aber warum sollte der neue Mao ihm den Gefallen tun? Der Krieg in der Ukraine hat den angenehmen Nebeneffekt, dass Russland noch mehr auf China angewiesen ist als zuvor. Und aus Xis Sicht liegt der Vorteil des Krieges darin, dass die USA in Europa gebunden sind. Worin sollte also Chinas Interesse an einem  Frieden liegen, der womöglich eine Demütigung Putins mit sich brächte? 

Macrons Vorschläge haben zwei Gemeinsamkeiten: Darin äußert sich der politische Primat, den französische Präsidenten in der Europäischen Union beanspruchen. Deutschland mag eine ökonomische Macht sein, aber politisch hält es sich seit je her zurück, von Helmut Schmidt über Angela Merkel bis hin zu Olaf Scholz. Ist das klug? Im Prinzip ja, in der Wirklichkeit immer weniger, zumal mit einem Irrlicht wie Emmanuel Macron im Élysée. Die zweite Gemeinsamkeit betrifft die Skepsis gegenüber Amerika, die in Frankreich stärker ausgeprägt ist als in Deutschland.

Man kann sich vorstellen, dass Wolodymyr Selenskyji wenig amüsiert über Frankreichs Sonderwege ist. Nicht nur aus seiner Perspektive nimmt Xi Partei für Russland und ist schon deshalb als Vermittler kompromittiert, wenn nicht diskreditiert. Selenskyjis Mantra fällt nach wie vor maximal aus: Rückeroberung aller okkupierter Gebiete im Süden und Osten plus der Krim. Ob dieser Kompromisslosigkeit eigentlich Wirklichkeitssinn innewohnt oder nicht, ist eine andere Frage. Denn für die Motivation seiner Soldaten ist bedingungsloser Optimismus unbedingt nötig, vor allem für die Eingekesselten in der Geisterstadt Bachmut.

Die neueste ukrainische Gegenoffensive gegen die neueste gescheiterte russische Offensive steht bevor. Zudem werden ukrainische Soldaten in Amerika auf die M1-Abrams-Panzern eingeschworen, die früher als vorgesehen ausgeliefert werden sollen. Lettland will außerdem sämtliche Stinger-Raketen, mit denen sich Flugzeuge und Hubschrauber abschießen lassen, dem ukrainischen Militär überlassen. Und zur Abwechslung bombardierte die russische Armee mal die eigene 400000-Einwohner-Stadt Belgorod – und gestand den Irrtum sogar ein, was die eigentliche Sensation ist.

Indes haben die G7-Außenminister aufs Neue den russischen Angriffskrieg scharf verurteilt und als krassen Verstoß gegen das Völkerrecht angeprangert. Sie würden die Ukraine so lange wie nötig unterstützen, sagten sie, inklusive der französischen Außenministerin, die Zweifel an der Haltung ihres Landes zerstreuen wollte.

Worte und Taten halten sich im Westen momentan einigermaßen die Waage, immerhin. Zugleich schleicht sich Unbehagen ein, da ja im nächsten Jahr in Amerika ein Präsident gewählt wird, der vielleicht wieder Joe Biden heißt, auch wenn der in seiner zweiten Amtszeit ins Greisenalter hinein wachsen würde. Schlimmer kann es immer kommen, egal ob der alte Donald Trump oder einer seiner jungen Klone ins Weiße Haus einzieht. Auch wegen dieser Unsicherheit sagen Geostrategen in vielen Ländern, dass dieses Jahr entscheidend für die Ukraine ist. Was sie 2023 nicht erreichen kann, lässt sich vielleicht nicht mehr erreichen. Mit der USA lässt sich leichter optimistisch sein als ohne sie.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.

Ginge es nach der Ukraine, wäre sie heute schon Mitgliedsstaat in der Nato und der Europäischen Union. Natürlich ist sie de facto noch lange nicht reif für die EU, aber ein politisches Signal ginge selbstverständlich vom Einstieg in die Beitrittsverhandlungen aus. Solidarität dieser Art lässt sich der Ukraine nur schwerlich abschlagen. Aber unten, wo das Leben konkret ist, wird es schwierig. Die Ukraine ist ein im Frieden ertragreiches Agrarland, das billiges Getreide und andere Agrarprodukte auf den gemeinsamen Markt werfen kann. Davon sind Polen, Ungarn und die Slowakei nicht begeistert. Schon jetzt haben sie teilweise Einfuhrverbot für ukrainische Getreide verhängt, um ihre eigenen Bauern zu schützen.

Nicht viel anders steht es um die Nato. Beitritt heißt Selbstverpflichtung der Nato auf militärische Hilfe im Falle eines Angriffskrieges wie im Februar 2022.Davor schreckt sie zurück, so ist das. Deshalb muss sich das westliche Bündnis gut überlegen, welche Garantien für die Souveränität des Landes unterhalb eines Blankoschecks so überzeugend ausfielen, dass die Ukraine damit leben kann, ohne in Ressentiments gegenüber dem wankelmütigen Westen zu verfallen.