Freiwillig gehen, aus eigenem Recht – wow!

Es begann mit Jacinda Ahern, die ihren Rückzug damit begründete, dass ihr die Energie fehle, die Tatkraft für dieses Amt der Ministerpräsidentin von Neuseeland. Ihr folgte wenige Tage später Nicola Sturgeon, deren Funktion die Schotten First Minister nennen, wobei sich, nebenbei gesagt, die genderfreie englische Sprache aufs Schönste bewährt.

Zwei Frauen, gestehen sich ein, dass sie erschöpft sind, seelisch wie körperlich. Jacinda Ahern bekam ein Kind und man (Mann) kann sich nicht vorstellen, was Schwangerschaft und Geburt für einen Menschen bedeuten, der viel zu tun hat, um es neutral zu sagen. Dann noch ein Ausnahmezustand mit der Pandemie. Wer kein Herz aus Stein hat, den überkommt gelegentlich Mitgefühl für Amtsträger und Amtsträgerinnen, die Entscheidungen in historisch beispiellosen Lebenslagen treffen müssen, die sie um Schlaf und Resilienz bringen. Fünfeinhalb Jahre war Jacinda Ahern Premierministerin ihres schönen Landes.

Nicola Sturgeon erlitt den Brexit, der ihr Land noch mehr England entfremdete. Schottland wäre gerne unabhängig, die Ministerpräsidentin ist Herz und Seele der Bewegung-los-von-London. Acht Jahre hat sie dieses Amt inne, das ihr die Lebensenergie aussaugte.

Neuseeland und Schottland sind keine Weltmächte. Ihre Probleme sind weniger fundamental. Selenskij fragte weder da noch dort um Waffen oder Munition oder Panzer nach. Beide Länder liegen im Windschatten der Geschichte, schon wahr.

Wem die Luft zum Atmen knapp wird, muss sich zunächst selber klar machen, dass die Kraft nachlässt. Vermutlich vergeht einige Zeit, bis sich das Gefühl der Unrast, das Aufwachen mitten in der Nacht, die gelegentliche Antriebslosigkeit zu einem Bündel zusammen schießt, so dass der innere Wandel ins Bewusstsein dringt und nach Konsequenzen schreit. Vermutlich geht man (Frau) Kompromisse ein, stiehlt sich erst einmal Zeit, leitet kleine Veränderungen ein, geht möglichst dann und wann, wenn es sich ergibt, früher schlafen, beansprucht mehr Freizeit im Kalender, den andere für sie führen, wenigstens am Wochenende, leitet Abwechslung ein und das mag sogar Wirkung zeitigen, wenigstens für eine gewisse Zeit. Das ist ein Prozess, der sich quälend hinzieht und in die Einsicht mündet, es geht nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich will auch nicht mehr so wenig von mir, von meinem Kind, von meinem Mann haben. Am Ende steht die Pressekonferenz, auf der sich die lang anhaltende Unklarheit in wenigen klaren Sätzen auflöst.

Was bleibt zurück? Das Eingeständnis von Schwäche durch Ermattung der Stärke. Die Trauer um den Verlust eines Amtes, auf das man (Frau) energisch und zielsicher hingearbeitet hatte. Die Befreiung von der Tretmühle. Die Rückgewinnung des funktionsfreien Ich. Dennoch: gemischte Gefühle dürften sie erfüllen, was denn sonst. Wenn es gut geht, verliert das Bedauern seine Tiefenschärfe und gewinnt die Befreiung an Kraft für einen Neuanfang. Jacinda Ahern ist 42 Jahre alt, Nicola Sturgeon 52, da geht noch was, keine Frage.

Zwei Frauen treten den Rückzug zur Überraschung ihrer Länder an. Niemand verlangte es ihnen ab. Keine von ihnen stand unter Bedrängnis. Ungewöhnlich. Châpeau! Vermutlich haben weniger Frauen als Männer Allmachtsphantasien, schauen öfter nach Innen, prüfen sich strenger, sind überhaupt kritischer im Umgang mit sich selber, eventuell auch grundsätzlich ambivalent gegenüber höchsten Ämtern. Vielleicht ist es häufiger so, dass Frauen Macht zum Machen benutzen und nicht als Selbstzweck verstehen, woraus ja fast zwangsläufig die Notwendigkeit zur Machtsicherung fließt.

Natürlich fallen mir sofort Gegenbeispiele ein, Angela Merkel zum Beispiel, die ja aber auch eigentlich 2017 aufhören wollte und von honorigen Figuren wie Obama beschworen wurde zu bleiben, weil ihre Erfahrung den richtigen Umgang mit dem Springteufel Trump eingeben würde. Gut möglich, dass sie sich hinterher sagte, hat ja nichts gebracht, diesen schrecklichen Kerl konnte eh niemand einhegen. Aber es ist schon gut, wenn Frauen imstande sind, die ihnen verliehene Macht virtuos zu handhaben. Selbst Angela Merkels Minenspiel ist fern der Glückseligkeit geblieben, die Helmut Kohl oder Gerhard Schröder im Ausüben der Macht durchglühte.

Timing ist nicht alles in der Politik, aber ohne Timing ist alles nichts. Nun kennen wir zwei Beispiele von Demut aus Einsicht in die Notwendigkeit das Amt niederzulegen. Freiwillig, aus eigenem Recht, ohne äußere Not. Das bleibt, das schlägt sich im Bewußtsein der Öffentlichkeit nieder. Und damit stehen die Apostel der Ewigkeit ab jetzt unter dem Zwang, dass sie ihre lange Verweildauer in Ämtern rechtfertigen müssen. Dafür sorgen die zwei bemerkenswerten Beispiele aus Neuseeland und Schottland.