Die Diva, der das Filmen wenig bedeutete

Die ersten Lieben halten am längsten. In meinem frühen realen Leben bedeutete mir meine Ellen die Welt; schön war sie, stolz und ein wenig unnahbar. In meinen Filmträumen bedeutete mir La Lollo die Welt. Unfassbar schön spielt sie im Melodram „Die Schönen der Nacht“ oder in „Der Glöckner von Notre Dame“.

Für meine Generation gab es in den 1960er Jahren zwei richtungweisende Fragen: Bist du für die Beatles oder die Stones? Natürlich war ich für die Fab Four und folgerichtig fiel die Antwort auf die zweite Frage aus: Bist du für Gina Lollobrigida oder Sophia Loren? Beatles und Gina nazionale gehörten zusammen. Kunst und Schönheit flossen harmonisch ineinander. Stones und die Loren, das war Wildheit mit einem Schuss Straßenanarchie. Nichts für mich.

Mir gefiel die Vielzahl ihrer Talente. Ja, sie war ein Sexsymbol, aber in Reinheit, eben nicht vulgär wie Elizabeth Taylor oder Anita Ekberg oder gar Mae West in der Vorgängerinnen-Generation. Einen Satz wie Mae West hätte La Lollo nie über die Lippen gebracht: „Ist da ein Revolver in Ihrer Hose oder freuen Sie sich nur, mich zu sehen?“ (Sorry, ein Frauenwitz!)

Gina Lollobrigida kam zuerst. Sophia Loren war sieben Jahre jünger und genoß den Vorzug, dass sie mit Carlo Ponti verheiratet war, dem berühmten und erfolgreichen Filmproduzenten, der zum Beispiel „Dr. Schiwago“ oder „Blow up“ produzierte. Ein produktiver Umstand, der ihr zu vorzüglichen Rollen verhalf.

Eigentlich waren es drei italienische Diven in der Nachkriegszeit, die das Schönheitsideal bestimmten, denn natürlich gehört Claudia Cardinale in diese Reihe. Sophia Loren war und blieb Schauspielerin, genauso wie Claudia Cardinale. Gina Lollobrigida aber war ein Multitalent. Sie hatte Bildhauerei studiert, arbeitete als Modefotografin und ließ sich zur Opernsängerin ausbilden. Konsequent widmete sie sich ihren anderen Gaben und blieb dem Filmen zusehends fern.

Wer so viel kann, macht sich verdächtig. Später sagte man ihr nach, sie sei ja nur eine mittelmäßige Schauspielerin gewesen. Das ist nicht falsch, war aber systembedingt. Damals mussten Frauen vor allem eines sein: schön. Darauf beschränkten Regisseure ihre Rollen. Und ob eine Schauspielerin zum Großstar heranwuchs, hing vom Film ab. Die Cardinale wird für alle Zeiten mit „Der Leopard“ verbunden sein, einem großen Film nach einem großen Roman. Dieses Glück ward Gina Lollobrigida nicht beschieden. Sie drehte viele Filme, von denen mancher zurecht in Vergessenheit geriet.

Ihre beste Zeit, die 1950er und 1960er Jahre, war auch die große Zeit des italienischen Kinos. Visconti, Fellini, Bertolucci, auch Sergio Leone, mit dessen „Spiel mir das Lied vom Tode“ sich die Ära ihrem Ende neigte. Danach übernahmen französische Regisseure mit französischen Filmen das Zepter. Goldene Jahre des europäischen Films, in dem sich Hollywood-Stars  um Rollen rissen.

Wie klug, wie umsichtig war doch Gina Lollobrigida. Sie zog sich aus dem Geschäft zurück. Die Alternativen lockten sie, das merkte man. Sie konnte eben mehr als andere. Sie war noch jung, Mitte 40, in ihr ruhten viele expressive Möglichkeiten. Die Kamera war nur eine davon.

Nur wenigen Schauspielerinnen und Schauspielern gelingt rechtzeitig der Abschied von der Leinwand. Die meisten hoffen darauf, dass es irgendwie immer weiter geht. Clint Eastwood ist die große Ausnahme. Als hoch betagter Regisseur gibt er sich hochbetagte Rollen wie in „The Mule“. Er stirbt wahrscheinlich am Set oder auf dem Weg dorthin oder auf dem Heimweg von Nachtaufnahmen.

Nun ist sie gestorben, La Lollo, im gesegneten 96. Lebensjahr. Möge ihr Leben so rund gewesen sei, wie es den Anschein hatte.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.