Rainer und sonst kainer

Rainer und sonst kainer ist gestorben, wie schade. Den Spitznamen gaben ihm meine Söhne, als wir Rainer Burchardt in Genf besuchten, wo er als Korrespondent für den NDR arbeitete. Abends setzte er sich ans Bett der Jungs, die damals 10 und 7 waren, und spielte Gutenachtlieder auf der Gitarre. Ich stand in der Tür und schaute zu. Ich sehe die beiden Buben noch vor mir, wie sie beglückt im Bett saßen und ihm mit glänzenden Augen still lauschten. Dafür liebten sie ihn. Er hatte diese Art, in solchen Momenten ganz da zu sein, sich ganz auf sie zu konzentrieren, sehr lässig, sehr ernsthaft.

Als ich im Deutschlandfunk erfuhr, dass er mit 77 Jahren gestorben war, rief ich einen meiner Söhne an und fragte ihn, ob er sich an Rainer erinnere. Natürlich erinnerte er sich an ihn und unseren Besuch in Genf auf dem Rückweg aus dem Skiurlaub in den Trois Vallées. Ein kleiner Moment der Trauer und Andacht für einen klugen, angenehmen Mensch. Stolz war er, ganz bestimmt, und dazu gelassen. Kein einfacher Mensch, sicherlich, aber einer, auf den wir zählen konnten, wir drei.

Rainer war ein Linker innerhalb des damaligen Rasters: hochmoralisch, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, kein Atomkraftwerk in Brokdorf, in der DDR ist nicht alles schlecht und der Kapitalismus muss dringend gebändigt werden. Seine prägenden Jahre erlebte er unter CDU-Regierungen in Kiel. Er gehörte zur Clique um Björn Engholm, der Ikone der schleswig-holsteinischen Sozialdemokratie, und Günther Jansen und Norbert Gansel. Ihr Ahnherr hieß Jochen Steffen, damals dort oben ein angesehener Mann, aufrecht und eine moralische Autorität.

Im Norden waren sie radikaler als die SPD anderswo. Sie waren ja auch zur Opposition verdammt, und es sah nicht danach aus, als würde sich daran so schnell etwas Gravierendes ändern. Dann aber brach der Barschel-Skandal aus, der sich um Schweinkram im Wahlkampf drehte. Uwe Barschel war der Ministerpräsident, der am 11. Oktober 1987 in einer Badewanne im Genfer Hotel sein Leben aushauchte. War es Selbstmord? War es Mord? Alle paar Jahre wird der Fall Barschel wieder durchgespielt und mit neuen Theorien garniert. Nur langsam verliert sich das Interesse an diesem beispiellosen Vorkommnis in der alten Bundesrepublik, zwei Jahre vor der Wiedervereinigung.

Für ein paar Jahre war die SPD hoch im Norden das Nonplusultra. Engholm war der Engel, der bald fiel, anstatt Bundeskanzler zu werden. Aus Rainer, dem leidenschaftlichen Hörfunk-Journalisten, entstand der Sprecher des Bundesvorstandes unter dem Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel. Später fand er zurück in unser Gewerbe und wurde Chefredakteur des Deutschlandfunks. Was für eine Kombination. der lebenslange Linke, und der Inbegriff des guten, konservativen Rundfunks!

Ich bin noch mal alleine nach Genf gefahren. Von Rainer wollte ich wissen, wie er das gemacht hatte: seinen Sohn alleine zu erziehen und zugleich voll als Korrespondent zu arbeiten. Bei Rotwein saßen wir zusammen und er erzählte mir, wie es gekommen war, dass die Mutter gegangen war und ihm den Kleinen überlassen hatte. Darin war er mir ein Vorbild.

Zu Freunden wurden wir leider nicht. Freunde sehen sich regelmäßig und tauschen sich in der Zeit dazwischen beharrlich aus. Dazu sahen wir uns zu selten; jeder von uns lebte in seiner Welt; mehr Nähe suchten wir nicht. Aber er gehörte zu den Menschen, denen ich mich sofort nahe fühlte, wenn ich sie traf, obwohl ich sie jahrelang nicht gesehen hatte.

Wir drei denken an Dich, Rainer. Für uns warst Du wie kainer.