Muss das Bürscherl ins Gefängnis?

Man hat ihn ja so gut wie vergessen, den Kurz Sebastian –  das Bürscherl, wie sie ihn zuerst in Österreich nannten, oder das Phänomen, wie er dank seines sensationellen Aufstiegs zum Bundeskanzler in jungen Jahren hieß, begleitet von einem nicht minder spektakulären Abstieg in immer noch jungen Jahren. Aus deutscher Sicht ähnelte er dem Baron zu Guttenberg, weil er ähnlich geschniegelt ähnlich wirkungsvoll auftrat. Beide entfachten einen Sturm, der sie dann wieder wegfegte.

Auch Sebastian Kurz schlug seine Zelte in Amerika auf und trat in die Dienste des Investors Peter Diehl, der Freiheit und Demokratie für unvereinbar hält. Wäre eine Diktatur hilfreicher? Danach gründete er mit einem israelischen Geschäftsmann, dem Chef der Spionagefirma Pegasus, eine Firma für Cyber-Security, noch eine bemerkenswerte Verbindung.

Kurz ist erst 36 Jahre alt und hat schon jede Menge Vergangenheit hinter sich. Diese Vergangenheit reicht aber in die Gegenwart. Deswegen ermittelt die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft neuerlich gegen ihn. Dafür sorgt ein Zeuge, der Kurz seit vielen Jahren in- und auswendig kennt. Er heißt Thomas Schmidt und ist berühmt für eine riesige Menge an indiskreten Kurznachrichten, die er an die verschworene Gemeinschaft schickte, die Sebastian Kurz umgab.

Schmidt war Ratgeber und Vertrauter. Freund und Blutsbruder. Er half Kurz und der verhalf ihm zu einträglichen Posten. So lange Kurz Kanzler war, hielten die Bande. Seither haben sich die Interessen jedoch getrennt und damit erwächst Kurz ein größeres Problem. Denn Schmidt will sich einen weißen Fuß machen, indem er sich der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge anbietet. Dafür qualifizierte er sich durch 15 Tage währende Aussagen.

Die Folge waren neuerliche Hausdurchsuchungen, auch in zwei Unternehmungen von René Benko, dem Tiroler Investor mit Projekten in Deutschland. Dazu prasseln auf den geschmeidigen Kurz allerlei Vorwürfe nieder, die in die Zeit gehören, als er Österreich fast nach Belieben beherrschte: Verdacht auf Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss; der Vorwurf, dass er mit Geld des Finanzministeriums wohlwollende Umfragen und deren Veröffentlichung in der Zeitung „Österreich“ kaufen ließ – also Verdacht auf Untreue und  Bestechlichkeit.

Kurz sagte schon einmal vor dem Landgericht aus und bestritt alle Anschuldigungen. Bis auf Weiteres ist es auch nur fair, wenn für ihn die Unschuldsvermutung gilt. Dazu kommt noch, dass Kronzeugen von Eigeninteresse geleitet sind. Sie wollen ja vor Gericht glimpflich davon kommen und sollen die Grundlagen für die Verurteilung  alter Spezis liefern. Nicht alles, was Kronzeugen behaupten, muss der Wahrheitsfindung dienen.

Politisch interessanter ist etwas anderes. Populisten wie Kurz zeichnet eine gewisse Bedenkenlosigkeit aus. Sie verkürzen bei ihrem Aufstieg lange Wege, umgeben sich dafür mit zweifelhaften Figuren. Sind die Junggenies oben angelangt, werden deren Cleaner regelmäßig  zur Belastung und folgerichtig abgestoßen. Daraufhin wenden sie sich gegen die undankbaren Blutsbrüder und schaden ihnen, wo sie nur können. 

So erging es Boris Johnson, als er Dominic Cummings verstieß, seinen Spindoctor. Der rächte sich mit brutaler Offenheit über dessen Schwächen und Eigenheiten, so dass sich jeder Johnson-Verächter fortan auf Cummings berufen konnte. So erging es auch Donald Trump, als sein Nationaler Sicherheitsberater John Bolton das Weiße Haus verließ und die Ignoranz und Neurosen des Präsidenten schonungslos freilegte. 

Nun also ergeht es dem Wunderkind von einst genau so. Schmidt sagte im Kern offenbar aus, dass Kurz genau wusste, was sich seine Schmuddelfreunde hatten einfallen lassen, um ihm den Weg nach oben zu ebnen. Die Gedächtnislücken, auf die sich der Ex-Kanzler berufen hatte, füllt Schmidt offenbar aus.

Österreich ist aber Österreich. Kaum zu glauben, dass ein ehemaliger Kanzler ins Gefängnis wandern muss. Und seine neuen Geschäftsfreunde in Amerika und Israel gehen sicherlich nicht von der Fahne. Sebastian Kurz, jung wie er ist, dürfte Zukunft haben, trotz aller Vergangenheit.

Veröffentlicht auf t-online.de, am Mittwoch.