Der Mann, der die Welt veränderte

Er war der Mann mit den Blutflecken auf der Stirn, das war sein Stigma, und Hegel oder Schelling hätten daraus seine geschichtliche Berufung abgeleitet, seine Großtaten, welche die Welt veränderten, und vor allem sein Scheitern.

Wusste Michail Gorbatschow 1989/1990 was er tat, was er auslöste? Wohl kaum, im Geschichtsstrudel behält so gut wie niemand den Überblick. Hinterher wollen es alle gewusst haben, vor allem Wladimir Putin, der im Wirken Gorbatschows die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ sah.

Gorbatschow schrieb Geschichte, genauer gesagt, revidierte er sie. Was sich Stalin nach dem Zweiten Weltkrieg unterworfen hatte, gab er frei. Er wiederholte weder in der Tschechoslowakei noch in Ungarn noch in der DDR, was seine Vorgänger 1953, 1956 und 1968 vorgemacht hatten. Von ihm stammt der kluge Satz, wonach das Leben diejenigen bestraft, die zu spät kommen. Zu spät kamen Honecker und Krenz. Nicht zu spät kamen sie in Polen, Tschechien, der Slowakei, in Ungarn. 

Das Wettrüsten mit dem Westen und die staatliche Mangelwirtschaft hatten die Sowjetunion zugrunde gerichtet. So endete die Zweiteilung der Welt in Kommunismus und Kapitalismus. So endete die Zweiteilung Deutschlands in West und Ost. Für einen historischen Wimpernschlag brach der Frieden nicht  nur in Europa  aus und es schien sogar möglich zu sein, dass der Westen Russland in die Nato aufnimmt.

Im Westen haben sie Gorbatschow geliebt, hofiert. Die gestrenge Margaret Thatcher bekam ihn als erste zu Gesicht, das war 1985, und sie befand, mit ihm lasse sich reden – mit ihm könne man Geschäfte machen, das war ihre Terminologie. Ironischerweise ging Gorbatschow ihr dann viel zu weit, als er die DDR fallen ließ. Dieses Geschäft hatte Thatcher nicht einbedacht. Bis zuletzt versuchte sie, das vergrößerte Deutschland zu verhindern.

Vor allem in Deutschland haben sie um ihn gebangt, dass er in Moskau durchhält, bis Deutschland wiedervereinigt ist und der 2+4-Vertrag unterzeichnet ist. Ein Putsch schien jederzeit möglich zu sein. Was wäre dann gewesen? Noch Anfang Februar 1990 plädierten Generäle in Moskau dafür, doch noch militärisch einzugreifen und die DDR vor der BRD zu retten. Im August 1991 war es dann mit Gorbatschow vorbei.

Wie viele Chancen sind damals verspielt haben. Der Kairos, der geglückte geschichtliche Augenblick, ging vorüber. Die Revolution, denn nicht weniger setzte Gorbatschow in Gang, raste voran und brachte den baltischen Staaten Freiheit, genauso wie Georgien und den zentralasiatischen Staaten. Dann ging sie in die Restaurationsphase über. Wie traurig, wie trostlos, was daraus wurde. Putin. Seine Kriege in Tschetschenien, Georgien, der Ukraine. Das ganze Scheinriesentum Russlands. Der neue Kalte Krieg.

Der Westen trägt Mitschuld daran, dass der Kairos vorüber ging. Er hörte damit auf, Rücksicht auf Russland zu nehmen. Ausgerechnet Barack Obama nannte Russland eine Regionalmacht. Russland füllte dankbar das Vakuum aus, dass die USA öffnete. In Syrien.In Libyen.

Im eigenen Land war Gorbatschow nicht wohlgelitten. Er hatte preisgegeben, was andere vor ihm gehortet hatten und behalten wollten. Isoliert war er seit vielen Jahren, und natürlich liegt darin seine persönliche Tragödie. Es konnte gar nicht anders sein, Zertrümmerer des eigenen Imperiums haben auf Dankbarkeit keinen Anspruch.

Nun ist er gestorben, hoffentlich im Einklang mit sich selbst. In Deutschland ist ihm Dankbarkeit sicher.

Veröffentlicht auf t-online.de, gestern.