Die schönen Tage, in denen man Robert Habeck bewunderte, wenn er beredt die Schwierigkeiten des Regierens beschrieb und sein Handeln erklärte, liegen hinter ihm. Dafür sorgen einerseits die Umstände und andererseits Sozialdemokraten, die nervös auf die Popularität der Grünen schielen.
Lars Klingbeil, der SPD-Vorsitzende, hält es für dringend nötig, den Wirtschaftsminister handwerkliche Fehler vorzuwerfen und anstatt schöner Worte Substanz einzuklagen. Natürlich können wir davon ausgehen, dass der Kanzler solche Sätze gerne hört und Klingbeil vermutlich sogar dazu aufgefordert hat, mal was Kraftvolles von sich zu geben.
Um die Gasumlage geht es und um den Herbst, weil es dann kalt wird und ungemütlich. Die Gasumlage ist nötig, weil Energieversorger, die in Abhängigkeit von Russland sind, seit Wochen teures Gas auf dem Weltmarkt kaufen müssen. Damit sie nicht pleite gehen, sollen die Verbraucher eine Umlage bezahlen, so sieht es die Regierung vor. Ist ärgerlich, aber sinnvoll. 2,4 Cent pro Kilowattstunde – heftig, na klar, vor allem für Wenigverdiener, die ja aber entschädigt werden.
Immer wird es schwierig, wenn der Staat strauchelnde Unternehmen retten muss. So war es 2007/08 in der Weltfinanzkrise, so war es in der Pandemie. Entweder treten die Steuerzahler dafür ein oder eben die Gas-Kunden. Die Frage ist nicht leicht abzutun, ob das gerecht ist und in welchem Maß dafür sozialer Ausgleich geschaffen werden kann.
Gut möglich, dass dummerweise auch Unternehmen von der Gasumlage profitieren, denen es nicht nur nicht schlecht geht, sondern überaus gut. „Wenn der Staat einen Honigtopf auf dem Marktplatz aufstellt, dann dürfen sie sich doch nicht darüber wundern, wenn drumherum die Türen aufgehen und alle bis zu den Oberarmen in diesem Topf stecken“, sagte Friedrich Merz dazu. Klingt gut und die Opposition muss ja nicht beim Regieren helfen.
Es geht um Systemrelevanz. Es geht darum, dass ausschließlich Firmen gefördert werden, die es nötig haben. Habeck ist durchaus dieser Meinung, denn er sagte früh, dass „Trittbrettfahrer“ aussortiert werden müssten. Allerdings stecken in dieser Exklusion juristische Tücken, wie jeder weiß, der jetzt sein Mütchen an Habeck kühlt. Nicht anders wäre es bei der „Übergewinnsteuer“ für Unternehmen, die in der Krise bestens verdienen. Mit dieser Steuer möchte etwa Anton Hofreiter die Gasumlage finanzieren, um die Verbraucher davon zu verschonen. Auch dieser Vorschlag klingt gut, ist aber nicht so leicht zu verwirklichen, wie Hofreiter weiß.
Man könnte die Kaskade mehr oder weniger brauchbarer Vorschläge als das übliche Hickhack vernachlässigen, aber darin steckt mehr. Einerseits verkörpert Habeck das freundliche, nachdenkliche, differenzierte Gesicht deutscher Politik und deshalb sägen Klingbeil und Scholz am Podest, auf dem der Wirtschaftsminister noch stabil steht. Andererseits kommt am Ende dieses Sommers allmählich Unruhe auf, wozu die Gesellschaft im Herbst wohl imstande sein mag. Gibt es den „Volksaufstand“, von dem Annalena Baerbock vor Wochen geraunt hat? Querdenker, Verschwörungsunternehmer und die AfD faseln schon länger von einem Umsturz. Oder gibt es lediglich Demonstrationen für mehr Gerechtigkeit und Umverteilung?
Politikern wie Journalisten fällt es schwer, Herbst und Winter abzuschätzen. Das Erregungs- und Empörungspotential der Gesellschaft im digitalen Zeitalter ist ebenso enorm wie unberechenbar und kann sich jederzeit entzünden. In so einer Aufwallung kann dann schnell aus Robert Habeck, dem Liebling aller Schwiegermütter, eine Hassfigur werden, die für alles verantwortlich gemacht wird, was schief läuft. Teures Gas. Kalte Wohnungen. Dunkle Städte. Unternehmen gerettet, Wenigverdiener geschröpft.
Es fällt ja auf, wer sich derzeit aus der Diskussion heraushält. Zum Beispiel bleibt Christian Lindner verdächtig still. Mit seinem Versuch, der EU die Mehrwertsteuer für die Gasumlage abzuringen, ist er gescheitert. Kanzler Olaf Scholz wiederum muss vergessen machen, dass er seinen Staatsgast Mahmud Abbas die Holocaust-Relativierung durchgehen ließ und zudem hängt ihm der Cum-Ex-Skandal wie ein Mühlstein um den Hals. Annalena Baerbock wiederum hat sich wieder mal in ihr Außenministerium zurückgezogen und mischt sich erstaunlich wenig ein.
Na gut, genug Zeit bleibt ja noch, um die Gasumlage und den sozialen Ausgleich aufeinander abzustimmen. Daran muss die gesamte Regierung in ihrer heiligen Dreifaltigkeit maximales Interesse haben. Aus dem Hause Habeck sollten die Impulse kommen, schon richtig, aber der Finanzminister und der Arbeits- und Sozialminister und natürlich auch der Bundeskanzler dürfen gerne zum Gelingen beitragen, an dem ja schließlich alle gemessen werden – spätestens im Frühjahr, wenn Herbst und Winter hinter uns liegen.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.