Bereichert und beglückt

Durch schiere Zufälle bin ich auf zwei Autorinnen aufmerksam geworden, von denen ich niemals zuvor gehört hatte. Die eine schreibt erstaunliche Romane von wunderbarer Tiefe in schöner Sprache, die andere schreibt in völlig unaufgeregter Sprache philosophisch Tiefsinniges, als wäre es für uns und für heute gedacht. Die eine stammt aus Nigeria und lebt mittlerweile teils in Amerika und teils in Nigeria; sie heißt Chimamanda Ngozi Adachie und ist Jahrgang 1977.

Die andere stammt aus einer deutsch sprechenden Familie in Riga, flog rechtzeitig vor Hitler über Japan und Amerika nach Kanada und lehrte als Schülerin und Nachfolgerin des ungemein berühmten Staats- und Verfassungstheoretikers Carl Joachim Friedrich. Sie war die erste Frau mit einer Professur auf Lebenszeit in Harvard und man muss hinzufügen, dass Harvard verdammt spät dran war, einer Frau jüdischer Herkunft diese Ehre angedeihen zu lassen. Judith Nisse Shklar ist Jahrgang 1928 und starb im Jahr 1980.

Na klar stellt sich die Frage was beide miteinander zu tun haben, sind sie doch nicht mal Generationsgenossinen, kommen aus anderen Welten, die eine lebt noch, die Philosophin starb, als die Romanautorin drei Jahre alt war. Illusionslose Humanität zeichnet beide aus. Jede von ihnen schaut genau hin, auch erbarmungslos, nimmt die Schwächen der Menschen wahr, ihre Fähigkeit, sich was einzureden, sich was vorzumachen, sich zu überhöhen, auch zu lügen und zu trügen, wenn es das Leben verlangt. Die Geschichte, in die sie gestellt sind, zwingt sie einerseits das, aber andererseits ist es natürlich ihre Freiheit, sich so oder anders zu verhalten.

Von dieser negativen Anthropologie gehen beide aus. Judith Nisse Shklar hat das Europa der beiden Weltkriege und deren Menschheitsverbrechen vor Augen und im Sinn. Ihr Denken beginnt bei dem Geschichtsprinzip Ungerechtigkeit und verweilt bei der Ungerechtigkeit, anstatt schnell zu Gerechtigkeit überzugehen, nach pflichtschuldiger Abhandlung der Ungerechtigkeit. Mehr will ich gar nicht über sie sagen, sondern nur dazu anregen, selber drin zu lesen. Ihre Bücher sind erst spät ins Deutsche übersetzt worden, sehr verdienstvoll. Hätte ich nicht den Artikel von Michael Hampe, der Philosophie in Zürich lehrt, in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen, wäre ich nie auf diese wunderbare Frau gestoßen und das wäre ein wahrhafter Verlust gewesen.

Auf Chimamanda Adichie machte mich eine Freundin aufmerksam. Sie hat einerseits Nigeria und andererseits Amerika vor Augen und im Sinn. In wenigen Wochen habe ich alles gelesen und gehört, was ich finden konnte. „Hibiskus“ ist der Roman einer wohlhabenden Familie mit einem großzügigen Vater, der viel Geld an Bedürftige verteilt, aber seine beiden Kinder, ein Mädchen und einen Jungen, mit seiner Erziehung terrorisiert, die auf einem harten, unsinnlichen Katholizismus mit animistischen Grundzügen beruht. „Die Hälfte der Sonne“ ist die politische Geschichte Nigerias, dieses reichen, großen Landes, das von seinen Eliten ausgebeutet wird und von Ethnien geplagt werden, die sich gegenseitig umbringen. Im Mittelpunkt steht der Biafra-Krieg, der Bürgerkrieg im Inneren. „Americanah“ spielt in Amerika und wer sich für die Vergangenheit und Gegenwart der Rassenkonflikte im Alltag interessiert, findet in diesem Roman Sätze von Kristallklarheit, die sich ins Gedächtnis brennen.

Ich habe mit zwei TED-Talks angefangen, die auf YouTube gespeichert sind. Sie heißen: „The danger of a Single Story“ und „We should all be feminists“. Dazu gibt es ein Büchlein mit dem wunderbaren Titel: „Trauer ist das Glück, geliebt zu haben.“ Adichie hielt auch die Rede zur Eröffnung des Humboldt Forums in Berlin.

Lasst euch auf das Lesen ein und ihr werdet beglückt werden.