Gestern Abend habe ich mir „Maischberger“ angeschaut. Sie unterhielt sich mit dem ukrainischen Botschafter Andrej Melnyk, der seit dem 24. Februar einen Sonderstatus erreicht hat und wahlweise den Bundespräsidenten beschimpft oder die Bundesregierung aufs Schärfste kritisiert. Dieses Monopol hatte bislang Richard Grennel inne, der in Trumpscher Manier mit Unflat um sich warf.
Ein Land wird von einem größeren überfallen, begeht Kriegsverbrechen, legt Städte in Schutt und Asche. Da muss es auch einem Botschafter erlaubt sein, Forderungen zu erheben und Wünsche auszusprechen und Kritik zu üben. Wenn er dazu in diese und jene Talkshow eingeladen wird, nutzt er den Ausnahmezustand, wer könnte es ihm verübeln. Auffällig ist nur, dass er einerseits instrumentalisiert wird und andererseits auf ein derart schlechtes Gewissen stößt, so dass ihm angemessene Fragen erspart bleiben, weil sie niemand traut. Instrumentalisiert, weil er eingeladen wird, um seine Gravamina vorzutragen. Das schlechte Gewissen führt dazu, dass die Herren Klingbeil/Söder etc. leise werden oder verdruckst vortragen, warum Deutschland kein Embargo einführt.
Diese Verlegenheit führt zu argen Verkürzungen der Wahrheit, die der Botschafter gepachtet hat. Es ist ja nicht nur so, dass wir mit Nord Stream 1 Putins Krieg finanzieren. Diese Pipeline führt bekanntlich durch die Ukraine und dafür bekommt sie auch jede Menge Gebühren bezahlt und zwar nicht zu knapp. Hat schon mal irgendjemand diese schlichte Gegenfrage gestellt? Nicht dass ich wüßte. Oder die Richtigstellung unseres Kanzlers, dass Putin an das Geld, das wir für bezahlen, momentan nicht herankommt. Sie ist einfach verebbt und wird als Argument nicht benutzt. Oder die Waffenlieferungen: Gabor Steingart, der seine Machete neuerdings stecken lässt, wies gestern darauf hin, dass die Ukraine mit Waffen aus Amerika geflutet wird, so dass dafür Deutschland keineswegs gebraucht wird. Stimmt. Also, aus welchem Grund dann lassen sich die Deutschen unverdrossen an den Pranger stellen? Amerika ist wichtig. Zumal das ukrainische Militär auch deshalb aufopferungsvoll kämpfen kann, weil es per Satellit über russische Stellungen und Truppenbewegungen informiert ist, vom CIA und möglicherweise von Militärberatern. Auch so ein Faktum, das beschwiegen wird.
Im Krieg stirbt als erstes die Wahrheit, heißt es. Nirgendwo stirbt sie derart umfassend wie in Russland, wo Lawrow und Putin abwegige Geschichten aus dem Wienerwald erzählen. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskji, den ich persönlich bewundere, tritt man gewiss nicht zu nahe, wenn man liebend gerne wüßte, wo seine Wahrheit endet und wo seine Beugung beginnt, denn er richtet sich ja immer wieder an das westliche Publikum, damit dessen Herz unverdrossen für sein Land pochen möge und so viele Staaten wie möglich die Sanktionen verschärfen und Schützenpanzer etc. liefern.
Wenn David gegen Goliath kämpft, muss man ganz einfach für David sein. Aber David muss schlau und listig sein und auch tückisch, denn wie sollte er sonst gewinnen. In seinen Mitteln kann er gar nicht wählerisch sein, er muss ja seinen Nachteil ausgleichen. Zumal Goliath Brutalität vorzieht und die Erde verbrennt, wo er kann. Aber was heißt das: Goliath darf den Krieg nicht gewinnen? Und wer sorgt dafür, dass er den Krieg nicht gewinnt? Oder anders gefragt: Welcher Sieg kommt einer Niederlage gleich?
Der Bundeskanzler hat diesen kryptischen Satz gesagt, um dem herrschenden Moralismus der Stunde zu relativieren. Auch das verstehe ich, aber wenn es sich nicht um eine Leerformel handeln sollte, muss Olaf Scholz rasch präzisieren, was er meint.