Zur Entspannung habe ich mir in den letzten Tagen mehrere Filme angeschaut, die sich durch überraschende Wendungen auszeichneten, deren Logik sich erst im Nachhinein erschlossen. Ich mag es, wenn ich aus der sicheren Erwartung, wie sich die Handlung entwickeln wird, herausgerissen werde. Natürlich muss trotz aller Bereitschaft zur Verblüffung Folgerichtigkeit beim Umschwung herrschen, aber aus keinem der Filme kam ich enttäuscht heraus. Für mich liegt darin das Hitchcockhafte der Handlung.
Zwei Filme ragen heraus: „Dream House“ mit Daniel Craig, Rachel Weisz und Naomi Watts, und „The Woman in the Window“ mit Amy Adams und Gary Oldman.
„Dream House“: Daniel Craig nimmt Abschied von einem gut bezahlten Job in einer gut beleumdeten Zeitung in Manhattan und besteigt einen Vorortzug, der ihn in eine Kleinstadt weit weg vom Stadtmoloch bringt. Seine Frau, Rachel Weisz, und seine beiden Töchter erwarten ihn. Sie kann es gar nicht glauben, dass er seinen Vorsatz verwirklicht hat, seinen Job zu kündigen und hierin der neuen Umgebung ein Buch zu schreiben, für das er schon einen Vertrag besitz. Sie freut sich maßlos über das neue Leben unter den neuen Umständen.
Das Haus ist groß und schön. Die Familie ist vorbildhaft glücklich. Allerdings tauchen alsbald einige Seltsamkeiten auf, die das Idyll stören. Ein Mann schleicht ums Haus. Die Nachbarin, Naomi Watts, ist freundlich, aber schweigt auf Fragen, wer denn zuvor in diesem Haus gelebt hatte. Allmählich schält sich heraus, dass die Vorgängerfamilie einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel: Frau tot, Kinder tot, der Mann, offensichtlich der Mörder, schwer verletzt und eingeliefert in die Psychiatrie. Schlimmer noch, dieser Mörder, dieser Peter Ward, ist gerade aus dem sicheren Gewahrsam entlassen worden und womöglich derjenige, der ums Haus schleicht. Noch seltsamer, dass die Polizei keinerlei Anstalten macht, dem Verdacht nachzugehen, dass die neue Familie möglicherweise beschattet und bedroht wird. Man denkt, die Handlung dreht sich nun darum, wie Daniel Craig seine Familie vor diesem Peter Ward schützt und ihn am Ende umbringt. Weit gefehlt.
Daniel Craig stellt nun selber Nachforschungen an, begibt sich in die Psychiatrie, fragt nach Peter Ward und bekommt Fotos gezeigt, auf denen Peter Ward zu sehen ist. Er schaut sich diese Fotos immer wieder an, er kann es nicht fassen, denn dieser Mann mit dem verwilderten Bart ist ihm bekannt. Tatsächlich mehr als bekannt, denn er erkennt sich in ihm, er ist es selber. Er ist Peter Ward. Er ist der Mörder seiner Familie. Ja, er ist entlassen worden, aber aus der Psychiatrie. Nicht die Redaktion in Manhattan hat er aus freien Stücken verlassen, um ein neues Leben anzufangen. Etliche Jahre hat er in der geschlossenen Anstalt in der Kleinstadt verbracht und wurde vor kurzem als geheilt zurück ins Leben geschickt. Nun versteht er, dass er in seinem Wahn seine Frau und seine Kinder in seinem Haus gesehen hat, als sie glücklich miteinander waren, vor dem Tag der Katastrophe. In Wahrheit sind die drei tot, offenbar getötet von ihm, von seiner Hand. Er geht zurück zu dem Haus, in dem er einst mit seiner Familie gelebt hatte. Es ist heruntergekommen, steht seit Jahren leer, unbewohnbar. Dieses Haus ist als das Mordhaus in der Kleinstadt bekannt. Niemand will darin wohnen, niemand will es kaufen.
Peter Ward bricht in sein altes Haus ein, geht durch die Räume, redet mit seiner Frau, als wäre sie am Leben, aber diesmal mit dem Zweck heraus zu finden, was an jenem Tag passiert ist, als sie und die Kinder starben und er schwer verletzt wurde. Die Nachbarin, Naomi Watts, sieht ihn und nimmt ihn bei sich auf. Sie hat eine Tochter und einen Ex-Ehemann, der eine gewalttätige Gestalt ist, und ihr schwere Vorwürfe macht, dass sie diesen Peter Ward, diesen Mörder seiner Frau und seiner Kinder, im eigenen Haus aufnimmt und damit sich und ihre Tochter gefährdet.
Es passiert einiges, natürlich Wildes und Gewalttätiges. Naomi Watts und DanielCraig/Peter Ward werden beschossen, das alte Haus geht in Flammen auf. Und jetzt stellt sich heraus, was wirklich geschah: Der Ex-Ehemann von Naomi Watts hatte einen Killer damit beauftragt, seine Frau umzubringen, damit er das Sorgerecht für die Tochter bekam und die verhasste Ehefrau los wurde. Der Auftragsmörder war aber ins falsche Haus eingedrungen und hatte die Frau, Rachel Weisz, getötet und konsequent auch die beiden Töchter, als er seinen Irrtum bemerkte und nicht mehr zurück konnte. Daniel Craig/Peter Ward aber bekam eine Kugel in den Kopf und überlebte, wobei jedermann ihn für den Mörder hielt und er sich selber auch.
Die letzte Szene zeigt Daniel Craig/Peter Ward in Manhattan. Er geht an einem Buchladen vorbei, im Schaufenster steht sein Buch mit dem Titel „Dream House“.
Das Fluidum solcher Filme ist die Spannung, die durch den grundstürzenden Twist entsteht. Wir identifizieren uns mit der leidenden Hauptfigur, die nicht weiß, wie ihr geschehen ist. Wir gehen mit ihr auf den Weg zur Wahrheit, erkennen mit ihr langsam, aber sicher, was wirklich passiert ist und wer für die Katastrophe verantwortlich ist, welche als Ursache für die Verwirrung dient.
Dann wird sie an ihrem Fenster Zeugin eines Mordes: an der Mutter. Sie ruft, außer sich, die Polizei, die auch kommt und plötzlich mit der vollständigen Familie von drüben in Amy Adams‘ Haus steht. Die Frau, die sich als die Mutter ausgibt, sieht anders aus als die Frau, die bei ihr zu Besuch war, aber Vater und Sohn bestätigen: dass ist die Frau und Mutter von gegenüber. Zu den Polizisten gehört ein verständnisvoller Beamter, der alleine mit ihr redet. Dabei stellt sich heraus, dass Amy Adams‘ Ex-Ehemann und ihr Kind in Wahrheit tot sind. Allmählich kristallisiert sich heraus, dass Amy Adams dafür verantwortlich ist. Sie saß am Steuer des Wagens, als ihr Mann ihr eröffnete, so gehe es nicht weiter, das Ganze sei eine Farce, eine Scheinheiligkeit, die er nicht mehr ertrage. Sie sagt, aber es waren doch schöne Tage, dieses Weihnachten, und sie möchte nicht, dass es endet. Das Telefon klingelt, sie will nicht rangehen. Er sagt, dass ist doch bestimmt er, ihr Liebhaber, mit dem sie „fremdgefickt“ hat, weshalb es mit ihrer Ehe vorbei sein muss. Er will den Anruf entgegennehmen, sie versucht es zu verhindern. Mann und Frau ringen um das Handy, dabei verliert sie die Herrschaft über den Wagen. Schwerer Unfall. Mann und Tochter tot. Damit ist der Grund für ihre Agoraphobie geklärt.
Amy Adams überwacht jetzt noch intensiver das Haus gegenüber. Wieder kommt der Junge herüber, doch ist er nun ein ganz anderer Junge, ein Psychopath. Er brachte die Frau um, die Amy Adams besucht hatte. Sie war die leibliche Mutter des Jungen. Der Junge bringt auch den Mieter im Souterrain um und will Amy Adams zuschauen, wie sie stirbt, denn das ist das Schönste für ihn, das Zuschauen, wie aus dem Menschen, den er umbringt, das Leben ganz langsam entweicht. Aber sie wehrt sich und bringt ihrerseits ihn um. Der nette Polizist, der ihr die Wahrheit über sie selber sagte, entschuldigt sich bei ihr. Sie hatte recht, sie war nicht verrückt. Die ganze Familie von gegenüber, die aus Boston floh, weil der Junge der Geliebten des Vaters beim Aushauchen des Lebens zugeschaut hatte, wird nun verhaftet.
Der Schluss: Amy Adams verlässt das Haus, an das sie wegen des katastrophalen Unfalls gebunden war. Es steht zum Verkauf. Ihr Leben kann nun weitergehen, irgendwo.
Beide Filme sind sehr gut konstruiert und komponiert. Beide Filme haben hervorragende Schauspieler. Amy Adams drehte vorzügliche Filme hintereinander, angefangen mit „American Hustle“. Gary Oldman bleibt leider nur eine kleinere Rolle, die er wunderbar füllt. Daniel Craig spielt für mich zum erstmal eine düstere Charakterrolle und macht das sehr gut. Die Regisseure Joe Wright und Jim Sheridan („Dream House“) sagen mir nichts, bauen aber äußerst geschickt die Spannung auf, die mich nicht los ließ.
Mehr als gute Unterhaltung. Hitchcock-Schule eben.